Therapie gegen Migräne: Was hilft?
Eine von sieben Personen weltweit ist von Migräne betroffen. MHH-Neurologin informiert über neue Therapieformen.
Frauen sind drei Mal häufiger als Männer von Migräne betroffen. Die spezielle Form der Kopfschmerzen hat die höchste Prävalenz (Vorkommen) unter Erwachsenen im mittleren produktiven Alter (35–45 Jahre) und ist noch immer unterdiagnostiziert. Gerade weil die Mehrheit der Betroffenen einer Erwerbstätigkeit nachgeht, ist es wichtig, eine Migräne rasch zu erkennen und zu behandeln. Lange Zeit mussten Patient:innen auf prophylaktische Medikamente zurückgreifen, die eigentlich zur Therapie anderer Erkrankungen entwickelt wurden, beispielsweise gegen Depression, Epilepsie oder Bluthochdruck, da es keine spezifischen Migränemittel gab. Dann kamen Triptane auf den Markt, eine Akutmedikation, die vielen gut hilft. Inzwischen gibt es sogar verschiedene und speziell für die Migräne entwickelte Prophylaxemittel. Wir haben mit unserer Migränespezialistin Frau Prof. Dr. Katja Kollewe aus der Klinik für Neurologie mit Klinischer Neurophysiologie über die Entstehung, die Art der Schmerzen und neue Mittel der Bekämpfung von Migräneattacken gesprochen.
Dr. Kollewe, was ist eine Migräne und wodurch wird sie ausgelöst?
Kollewe: Migräne ist ein attackenweise auftretender Kopfschmerz, der häufig einseitig und von pulsierend-pochendem Charakter ist. Typischerweise nimmt der Kopfschmerz bei körperlicher Betätigung – zum Beispiel Treppensteigen oder Gehen – zu und wird begleitet von Übelkeit und/oder Erbrechen und Lichtempfindlichkeit. Die einzelnen Attacken dauern im Allgemeinen zwischen 4 und 72 Stunden und können von Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Lichtempfindlichkeit, Lärmempfindlichkeit und Überempfindlichkeit gegenüber Gerüchen begleitet sein. Verschiedene Faktoren wie Stress, aber auch nachlassender Stress, Schlafmangel, hormonelle Faktoren, Nahrungsmittel wie Rotwein oder Schokolade und Wetterumschwünge können die Attacken auslösen.
Was unterscheidet sie von anderen Kopfschmerzen?
Kollewe: Wenn die oben beschriebenen Symptome auftreten, lässt einen das an eine Migräne denken und man sollte einen Arzt oder eine Ärztin zur Abklärung aufsuchen. Der in der Bevölkerung häufig vorkommende „Spannungskopfschmerz“ unterschiedet sich von der Migräne dadurch, dass er beidseitig lokalisiert, nicht pulsierend ist, keine Verschlimmerung durch Bewegung zeigt und typischerweise nicht von Erbrechen begleitet ist.
Reicht eine „Selbstdiagnose“ bei seltenen Attacken oder sollte man bei dem Verdacht auf Migräne immer in die Arztpraxis, um das ganze einmal neurologisch abklären zu lassen?
Kollewe: Wenn man häufig Kopfschmerzen hat, sollte man diese auf jeden Fall ärztlich abklären lassen. Die Diagnose einer Migräne kann hauptsächlich über die Anamnese gestellt werden. Häufig werden aber apparative und laborchemische Verfahren eingesetzt, um andere Ursachen für die Kopfschmerzen zu erfassen bzw. auszuschließen. Theoretisch kann der oder die Hausärzt:in eine Migräne diagnostizieren. Allerdings sind Neurologen auf Erkrankungen des Nervensystems spezialisiert und kennen sich folglich auch mit den inzwischen vielen verschiedenen Therapieoptionen aus.
Was passiert bei einer Migräneattacke im Kopf?
Kollewe: Es erfolgt eine Aktivierung des sogenannten trigeminovaskulären Systems im Gehirn, sodass schmerzvermittelnde Botenstoffe (Neurotransmitter oder Hormone) ausgeschüttet werden. Die übermäßig ausgeschütteten Botenstoffe wirken auf unterschiedliche Strukturen im Gehirn. Eine komplexe Kaskade von Entzündungsvorgängen, Erweiterung von Blutgefäßen und Freisetzung von weiteren Neuropeptiden wieCalcitonin Gene-Related Peptide (CGRP) wird ausgelöst.
Was ist eine Aura und steht sie immer in Verbindung mit einer Migräneattacke?
Kollewe: Bei einer Aura handelt es sich um neurologische Störungen, die über Minuten an- und abklingen. Die häufigsten Auren sind visuelle Art, dabei sehen die Patient:innen beispielsweise Lichtblitze, Zickzack-Linien oder Doppelbilder. Auch Gefühlsstörungen oder Sprachstörungen können auftreten. In sehr wenigen Fällen – circa 1 Prozent aller Migränepatient:innen – treten keine Kopfschmerzen nach der Aura auf.
Stimmt es, dass das Risiko einen Schlaganfall zu erleiden bei Migränepatient:innen erhöht ist?
Kollewe: Das stimmt nur für eine bestimmte Gruppe: Bei Frauen unter 55 Jahren ist die Migräne mit Aura ein unabhängiger Risikofaktor für einen Schlaganfall, wenn eine langjährige Krankheitsdauer und eine hohe Attackenanzahl vorliegt. Wenn dann noch zusätzliche Risikofaktoren wie Bluthochdruck, Rauchen, Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln hinzukommen, steigt das Risiko für einen Schlaganfall deutlich an.
Ist es besser, die Schmerzen auch mal „auszuhalten“ oder sollte man bei Migräne immer schnell ein Medikament nehmen?
Kollewe: Es gibt Akut-Medikamente wie bestimmte nicht-steroidale Antiphlogistika, zum Beispiel ASS, Ibuprofen oder Metamizol, die bei leichten bis mittelschweren Attacken eingenommen werden können. Bei mittelschweren und schweren Attacken gibt es spezifische Migräne-Medikamente, zum Beispiel die Triptane. Diese sollen sogar möglichst frühzeitig eingenommen werden, um die Migräne-Attacke in den Griff zu bekommen. Wenn sich die Attacken häufen, muss man darauf achten, nicht zu viel von diesen Medikamenten einzunehmen, da sie wiederum selber Kopfschmerzen auslösen können. Dann sollte eine regelmäßige, prophylaktische Medikation eingenommen werden.
Was sind neuere Therapieformen?
Kollewe: Zur Prophylaxe ist seit dem Jahr 2011 Botox® bei chronischer Migräne zugelassen. Auf diese Therapieform wurde man eher zufällig aufmerksam, da Personen, die an Migräne litten und eigentlich zur Faltenbehandlung darauf zurückgegriffen haben, berichtet haben, dass ihre Migräneattacken weniger wurden. Daraufhin wurden systematische Studien dazu durchgeführt und der Effekt ließ sich an einem großen Kollektiv von Patient:innen mit chronischer Migräne nachweisen. Seit Ende 2018 sind die Calcitonin Gene-Related Peptide (CGRP)-Antikörper auf dem Markt, diese sind gut verträglich und die Patient:innen injizieren sich das Medikament einmal im Monat selbst.Seit März dieses Jahres ist ein weiteres spezifisches Akut-Medikament, Lasmiditan, verfügbar (Anm. Red.: eignet sich beispielsweise für Patient:innen, die Triptaen nicht nehmen dürfen oder nicht vertragen). Es wird kontinuierlich weiter geforscht und es gibt erfreulicherweise neue und wirksame Therapieansätze.
Wie wirksam würden Sie die Prophylaxen einstufen?
Kollewe: Botox® ist eine elegante, nebenwirkungsarme Therapieform, die sich in vielen Studien als wirksam erwiesen hat und einen positiven Effekt auf die Lebensqualität hat. Die CGRP-Antikörper sind spezifisch für die Migräne entwickelt und der größte Vorteil ist die gute Verträglichkeit. Auch hier zeigen viele verschiedene Studien die Wirksamkeit gegenüber einem Placebo und den guten Effekt auf die Lebensqualität. Diese Medikamente wirken natürlich nicht bei allen Patient:innen gleich gut und daher muss entsprechend der Leitlinien der neurologischen Fachgesellschaft nach zwei bis drei Zyklen Bilanz gezogen werden, wie gut die Wirkung ist und ob die Medikation weitergeführt wird.
Für wen eignen sie sich?
Kollewe: Botox® ist ausschließlich für die Behandlung der chronischen Migräne zugelassen, also wenn die Migräne länger als 3 Monate besteht und mehr als 15 Tage im Monat Kopfschmerzen auftreten, wovon die Hälfte migräneartig sind. Botox® wird dabei circa alle 3 Monate in die Stirn-, Schläfen- und Nackenmuskulatur gespritzt.
Die CGRP-Antikörper sind für Patient:innen, die mehr als vier Mal im Monat Migräne haben. Allerdings müssen je nach Präparat gewisse Vorgaben (Vor-Medikation und deren Verträglichkeit, Anzahl der Migräne-Tage/Monat) erfüllt werden, bevor sie eingesetzt werden dürfen.
Die Fragen stellte Janna Zurheiden
Foto: Pexels/ Marcus Aurelius