Studie mit hoher Relevanz angesichts des bevorstehenden Klimawandels – Verändertes Muskelwachstum durch epigenetische Modifikationen an der fötalen DNA – Wahrscheinlich durch spätere Lifestyle-Änderungen wie Sport und Bewegung reversibel

Bereits geringe Veränderungen der Außentemperatur während der Schwangerschaft können den Stoffwechsel (Metabolismus) der Nachkommen nachhaltig verändern – diesen bislang nicht bestätigten Zusammenhang hat ein Lübecker Forscherteam um Dr. Rebecca Ölkrug und Prof. Jens Mittag nun genauer untersucht.

Es ist schon lange etabliert, dass bereits im Mutterleib der Grundstein dafür gelegt wird, ob man später eine erhöhte Prädisposition für eine metabolische oder endokrinologische Erkrankung aufweist. Dies geschieht über sogenannte epigenetische Veränderungen am fötalen Erbgut, welche maßgeblich über Lifestylefaktoren und Umwelteinflüsse während der Schwangerschaft programmiert werden. Natürlicherweise ermöglicht dieser Mechanismus es Säugetieren, flexibel auf ihre Umwelt zu reagieren und je nach Bedarf z.B. Stoffwechselwege in der nachfolgenden Generation zu optimieren.

Im Menschen sind diese Einflüsse aber oft von den tatsächlichen Bedingungen entkoppelt, so dass die Nachkommen nicht optimal an ihre Umweltbedingungen angepasst sind und daher für metabolische Erkrankungen anfälliger werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist, dass übergewichtige Mütter oft Kinder bekommen, die ebenfalls anfällig für die Entwicklung von Übergewicht werden. Die vorliegende Studie, die nun in der renommierten Zeitschrift Cell Reports veröffentlich wurde, untersucht zum ersten Mal, inwieweit die Umgebungstemperatur in der Schwangerschaft Einfluss auf diese fötale metabolische Programmierung der Nachkommen hat.

„Erstaunlicherweise hatte eine kältere Außentemperatur in der Schwangerschaft nicht nur Einfluss auf die spätere Größe der Nachkommen, sondern reduzierte auch ihr Muskelwachstum und könnte somit die Entstehung von Typ II Diabetes begünstigen“, erklärt Prof. Jens Mittag, einer von zwei Direktoren des neu gegründeten Instituts für Endokrinologie und Diabetes der Universität zu Lübeck. Aber laut der Erstautorin der Studie, Dr. Rebecca Ölkrug, die gerade selbst im achten Monat schwanger ist, besteht kein Grund zur Panik. „Die von uns dokumentierten Veränderungen im Muskelwachstum und Stoffwechsel bei den Nachkommen konnten durch ausreichend Bewegung im Erwachsenenalter rückgängig gemacht werden.“

Die Forscher gehen davon aus, dass epigenetische Modifikationen an der fötalen DNA diese Veränderungen im Muskelwachstum hervorgerufen haben und diese durch spätere Lifestyle-Veränderungen wie Sport und Bewegung reversibel sind. „Uns geht es primär darum, mit unserer Forschung Risikofaktoren während der Schwangerschaft aufzudecken. Damit können wir dazu beitragen, die Versorgung von schwangeren Frauen und ihrer ungeborenen Babys so optimal wie möglich zu gestalten“, so Dr. Ölkrug. Da diese Studien im Tiermodell durchgeführt wurden, sind jedoch zunächst größere epidemiologische Langzeitstudien an schwangeren Müttern und ihren Kindern notwendig, um die Übertragbarkeit dieser Beobachtung auf den Menschen zu bestätigen. Angesichts des bevorstehenden Klimawandels dürften diese Studien allerdings von höchster Relevanz sein, nicht nur was metabolische Erkrankungen im Menschen angeht, sondern auch für möglichen Veränderungen in freilebenden oder domestizierten Säugetieren in Freilufthaltung.

Welche Stoffwechselwege oder Hormone sich nun genau bei der Mutter durch die Außentemperatur verändern und zu der epigenetischen Umprogrammierung der Nachkommen beitragen, das wollen die Forscher nun in einer Folgestudie untersuchen, die wie auch die vorliegende Studie von der Deutschen Forschungsgemeinschaft DFG mit einer umfangreichen Sachbeihilfe finanziert wird.

Originalpublikation:

https://www.cell.com/cell-reports/fulltext/S2211-1247(20)31340-1