Häusliche Pflege hat auch ihre positiven Seiten
Aktuelle Forschungsergebnisse zur Stärkung von pflegenden Angehörigen
Müdigkeit, Stress, wenig Freizeit oder das Gefühl mangelnder Anerkennung: Angehörige, die zum Beispiel Menschen mit Demenz in ihrem häuslichen Umfeld pflegen, empfinden ihre Tätigkeit oft als überfordernd oder psychisch belastend. Erstmals in Deutschland hat ein Forschungsteam des Uniklinikums Erlangen und der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) in einer aktuellen Studie die positiven Seiten nachgewiesen, die mit der Pflegetätigkeit verbunden sind.
„Pflegende Angehörige erleben nicht nur negative Seiten der häuslichen Pflege, sondern erfahren auch positive Auswirkungen, die sich erst durch die Pflegetätigkeit ergeben“, sagt die Forschungsprojektleiterin Dr. Anna Pendergrass vom Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung an der Psychiatrischen und Psychotherapeutischen Klinik (Direktor: Prof. Dr. Johannes Kornhuber) des Uniklinikums Erlangen. Mit der jüngst erschienenen Studie möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zur Verbesserung der Pflegesituation in Deutschland beitragen. Deshalb erforschen sie die positiven Seiten, die sogenannten Zugewinne durch die häusliche Pflege.
„Wichtige Werte im Leben“
In der jüngst erschienenen Studie gaben 61,7 Prozent der Befragten an, dass ihnen durch die Pflegetätigkeit deutlicher geworden ist, welche Werte ihnen persönlich in ihrem Leben wichtig sind. Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmenden hat „viel dazu gelernt“, 41 Prozent berichteten, ihre Zeit besser organisieren zu können. Zu den Zugewinnen – den sogenannten Benefits – gehören weitere Erfahrungen: Die pflegenden Angehörigen sind geduldiger und reifer geworden, erlebten mehr Wertschätzung von anderen oder haben eine positivere Lebenseinstellung gewonnen.
Zugewinne unbeeinflusst von Belastung
Die Studienautorinnen und -autoren gelangten zu einem weiteren überraschenden Forschungsergebnis. „Die Zugewinne werden völlig unabhängig von der Belastung und der Dauer der Pflege erlebt“, berichtet Prof. Dr. Elmar Gräßel, einer der Co-Autoren der Studie und Projektleiter bei digiDEM Bayern, dem Digitalen Demenzregister Bayern.
Auf Basis der erforschten Benefits können praktische Maßnahmen entwickelt und die Lebenssituation von Pflegenden und Gepflegten verbessert werden. Dies wäre ein wichtiger Beitrag zur Stärkung der häuslichen Pflege in Deutschland, sind sich Dr. Anna Pendergrass und Prof. Dr. Elmar Gräßel einig.
Vorteilhafte Effekte
Erlebte Zugewinne könnten vorteilhafte Effekte auf die Pflegenden, Gepflegten und die gesamte Situation haben. So gibt es aus der internationalen Forschung erste Belege für einen Puffereffekt. Das heißt, negative psychologische (zum Beispiel Depression) sowie physiologische (etwa körperliche Beschwerden) Auswirkungen der Pflege könnten durch das Erleben von Zugewinnen abgemildert werden.
Pflegende Angehörige, die an der Studie teilgenommen haben, sind im Durchschnitt 61 Jahre alt und zu mehr als zwei Dritteln Frauen (76,2 Prozent). Mehrheitlich sind es die Partnerinnen oder Partner und erwachsenen (Schwieger-)Töchter und -Söhne (87,1 Prozent), die ihre Angehörigen unterstützen. Das Durchschnittsalter der Pflegebedürftigen beträgt 77 Jahre, 64 Prozent sind Frauen. Ursächlich für die Pflegebedürftigkeit sind zum Beispiel Altersgebrechlichkeit, eine Demenzerkrankung, Schlaganfall und Krebs.
Weltweit erstmals spezieller Fragebogen
Um den Zugewinn durch häusliche Pflege wissenschaftlich gültig zu erfassen, haben die Forschenden weltweit erstmalig einen speziellen Fragebogen für pflegende Angehörige entwickelt. Mit dessen Hilfe erfahren diese einen Nutzen für sich selbst. Sie lernen aber auch, dass der erlebte Nutzen das Ergebnis ihrer Pflegetätigkeit ist.
Bei der Entwicklung des Fragebogens waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, Expertinnen und Experten aus Demenzversorgung und Pflege sowie Angehörige einbezogen. Im Rahmen der anschließenden Studie befragten die Forschenden in einer repräsentativen Piloterhebung, unterstützt vom Medizinischen Dienst (MD) Bayern, mehr als 900 pflegende An- und Zugehörige. „Unser wichtigstes Ziel war es, günstige Faktoren zu ermitteln, die zu mehr Benefits führen“, unterstreicht Demenzforscher Prof. Gräßel.
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