Der Diagnose ihren Schrecken nehmen
Universitätsklinikum Ulm bietet Unterstützung für Mädchen und Frauen mit Ullrich-Turner-Syndrom und deren Familien
Das Ullrich-Turner-Syndrom (UTS) gehört zu den genetisch bedingten Varianten der Geschlechtsentwicklung und betrifft ausschließlich Mädchen und Frauen. Diesen fehlt in der Regel eines der beiden X-Chromosomen, welches jedoch auch stark verändert oder nur in einigen Zellen vorhanden sein kann. Am Universitätsklinikum Ulm (UKU) wird die persönliche Betreuung Betroffener u.a. durch regelmäßige Schulungen und ein klinikeigenes Turner-Syndrom-Zentrum großgeschrieben. Neben der medizinischen Versorgung stehen vor allem der gegenseitige Austausch und die sogenannte Peerberatung im Vordergrund.
Bei etwa der Hälfte der vom UTS Betroffenen liegt die sogenannte 45,X-Form vor – das heißt, es fehlt in allen Zellen das zweite X-Chromosom. Es kann allerdings auch zu einer Mosaikform kommen. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Teil der Zellen den 46,XX-Typ aufweist, ein anderer Teil die 45,X-Variante. „Letztlich zeigt UTS auf, wie vielfältig die menschliche Natur ist“, sagt Prof. Martin Wabitsch, der das Hormonzentrum für Kinder- und Jugendliche am UKU leitet. „Aufgrund der Vielzahl möglicher Symptome, die neben Kleinwuchs, der ausbleibenden Pubertätsentwicklung sowie eingeschränkter Fruchtbarkeit auftreten können, sind unsere Patientinnen ihr Leben lang auf die ärztliche Betreuung vieler unterschiedlicher Disziplinen angewiesen. Hierzu zählen beispielsweise die Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde, Kieferorthopädie, Zahnheilkunde, Augenheilkunde, Gynäkologie, Orthopädie, Dermatologie und vor allem die Kardiologie.“
Um die Betroffenen im Umgang mit ihrer Variante zu schulen, bieten die Expert*innen des Hormonzentrums seit mittlerweile 1,5 Jahren in regelmäßigen Abständen Schulungen für Patientinnen und ihre Familien an, zuletzt am 8. und 9. April. Dort steht neben der biomedizinischen auch die psychosoziale Aufklärung im Vordergrund. „Während der Schulungen lernen Betroffene nicht nur die medizinischen Hintergründe kennen, sondern setzen sich vor allem mit Themen wie Kinderwunsch und Familienplanung, den vielen Arztbesuchen oder Mobbing auseinander“, erklärt Prof. Wabitsch. Für die Teilnehmenden hat sich vor allem der Kontakt zu anderen Patientinnen als sehr hilfreich erwiesen.
Dazu gehört auch die sogenannte Peerberatung durch Menschen, die selbst betroffen und teilweise auch in der Turner Syndrom Vereinigung engagiert sind. Das Besondere an der Peerberaterin der letzten UTS-Schulung: sie war im letzten Jahr noch Schulungsteilnehmerin und fungiert nun als Peerberaterin: „Es ist schön, die Seiten zu wechseln und jungen Menschen von den eigenen Erfahrungen zu erzählen, mit ihnen Ansichten auszutauschen und die Fragen zu beantworten die ihnen schon lang auf der Seele brennen. Besonders natürlich, wenn man selbst in der Vergangenheit auch schon auf der Seite der Teilnehmenden stand und noch nicht das Glück hatte einen Peerberater zum Austausch zu haben. Wenn ich eines aus allen Gesprächen – sei es in der Schulung als Teilnehmerin, privat oder als Peerberaterin – mitbekommen habe, ist es, dass in uns allen Betroffenen ein unglaublich starkes Kämpferherz steckt.“
Turner-Syndrom-Zentrum am UKU
Frauen mit UTS benötigen lebenslang eine besondere medizinische Betreuung. Während jedoch die Versorgung im Kindes- und Jugendalter meist gut ist, haben Erwachsene oft Probleme, UTS-kundige Ärzt*innen zu finden. Um diesen Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin zu erleichtern, hat sich die Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKU bereits 2019 gemeinsam mit der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (Frau Prof. Dr. Katharina Hancke) einer deutschlandweiten Initiative angeschlossen. Die beiden Bereiche organisieren sich als Tandem und haben dadurch ein Turner-Syndrom-Zentrum gegründet. Dort können Kinder und Erwachsene eine lebenslange medizinische Betreuung gemäß der internationalen Leitlinie für das Ullrich Turner Syndrom finden. Dass sich durch die Bildung immer mehr Turner-Syndrom-Zentren die Versorgung UTS betroffener Mädchen und Frauen verbessert hat, bestätigt Antje Angermüller von der Turner-Syndrom-Vereinigung „Die Expertinnen und Experten in den Turner-Syndrom-Zentren können die oft schwierige Transitionsphase sehr gut begleiten und gestalten. Meist bestehen in den Zentren gute Kontakte unter den Ärztinnen und Ärzten und man hat die Möglichkeit auch innerhalb der Zentren/Praxisgemeinschaften in eine weitere benötigte Fachrichtung zu wechseln. Dies ist besonders wichtig, einmal bei der Einleitung der Pubertät und beim Praxisübergang vom Kinder-/Jugend- ins Erwachsenenalter, damit die Transition gut gelingt.“
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