Schon in ihrer Kindheit schlug das Herz von Katharina Bauer 6000-mal häufiger als das Herz eines gesunden Menschen. Trotzdem brachte das die Stabhochspringerin nicht vom Profisport ab. Mittlerweile lebt sie mit einem Defibrillator.

Etwa 100.000-mal schlägt unser Herz pro Tag und pumpt dabei bis zu 10.000 Liter Blut durch unsere Gefäße. Das Herz der Stabhochspringerin Katharina Bauer schlug bereits in ihrer Kindheit häufiger als das Herz gesunder Menschen. Erstmals waren die etwa 5000 – 6000 Extraschläge pro Tag bei einer sportmedizinischen Routineuntersuchung aufgefallen. Bis dahin hatten weder Katharina noch ihre Eltern und Trainer etwas von ihrer Herzkrankheit bemerkt. Gefährlich waren die Extraschläge nicht und hielten Katharina nicht vom Leistungssport ab.

Sie wurde Deutsche Vizemeisterin im Sechskampf, der aus drei turnerischen und drei leichtathletischen Disziplinen besteht, und entdeckt mit 13 Jahren den Stabhochsprung für sich. „Dass ich schneller aus der Puste war als alle anderen, merkte ich natürlich auch. Aber es hatte mich bis dahin in meinem sportlichen Alltag nicht sehr behindert“, schildert sie ihre damalige Situation.

Wer im Stabhochsprung erfolgreich sein möchte, benötigt Kraft und Schnelligkeit. „Je mehr Energie ich in den Stab ,reingebe‘, desto mehr Energie bekomme ich für meinen Sprung her­aus. Wenn wir abspringen und uns danach in der Luft befinden, biegen wir den Stab zunehmend mit unserem Gewicht und unserer Oberkörperkraft. Mit den Beinen voraus treiben wir nach oben in den Handstand und überqueren im besten Fall die Latte, ohne sie zu touchieren.

Es dauert, bis man die komplizierte Technik erlernt hat. Aber wenn man den richtigen Sprung „erwischt“, fühlt es sich an wie Fliegen.“ Katharina liebt ihre Sportart und die Faszination hält bis heute an. Schnell stellten sich Erfolge ein: Mit 15 Jahren überspringt sie die Schallmauer von 4 Metern, nimmt an ihrem ersten internationalen Wettbewerb teil, sie wird in die Nationalmannschaft aufgenommen und belegt bei den Weltmeisterschaften der unter 18-Jahrigen den 6. Platz; weitere internationale Meisterschaften folgen. Alles ist auf Erfolg programmiert.

Katharina Bauer: Erste Herzprobleme mit 18 Jahren

„Mit 18 Jahren, kurz vor dem Abitur, empfand ich in der Mensa urplötzlich einen komischen Druck in der Brust, der mit einem Schwindelgefühl einherging. Ich spür­te mein Herz schnell und unregelmäßig hintereinander wegpoltern. Ich dachte, ich müsse gleich in Ohnmacht fallen.“ Die kardiologische Untersuchung ergab 10.000 Extra-Herzschläge – eine Herzkatheter-Untersuchung (EPU) sollte Klarheit bringen. Nach Verabreichung eines leichten Beruhigungsmittels, aber bei vollem Bewusstsein wurde ein Herzkatheter durch die Leiste bis zum Herzen geführt, um den Ursprungsort der Extrasystolen aufzuspüren. Im besten Fall wird das für die gestörte Erregungsleitung verantwortliche Herzgewebe gleich verödet (Katheter-Ablation) und so die Ursache des gefährlich schnellen Herzrhythmus beseitigt.

Bei Katharina stellten die Ärzte gleich mehrere Ursprünge fest – eine Verödung war jedoch nicht möglich, aber die Ärzte beruhigten sie: Ihr Zustand sei nicht lebensgefährlich. Sie solle lernen, ruhig zu bleiben, sich zu entspannen und … damit zu leben. „Ich hatte damals schon eine gewisse Tiefenentspannung in Stresssituationen ent­wickelt, die mir bestimmt schon mehrfach das Leben gerettet hat. Heute weiß ich, dass genau dieses Druckgefühl in der Brust, das immer mit Schwindel einhergeht, zu Kammerflimmern und zum plötzli­chen Herztod führen kann.“ Katharina findet ihren Weg: Beginnt ihr Herz zu rasen, bleibt sie ruhig, atmet tief ein und aus und wartet bis es vorbei ist.

Herz machte 18.000 Extra-Schläge

Keinesfalls möchte sie sich im Leben einschränken lassen. Sportlich läuft es ebenfalls super: Sie wird  Profisportlerin, wechselt von Mainz zum TSV Bayer 04 Leverkusen und zu Leszek Klima, der sie noch heute trainiert. Von der Yogalehrerin und Sportwissenschaftlerin Barbara Plaza, selbst ehe­malige Hochspringerin, lernt sie, ihren Körper aktiv zu regenerieren und zu entspannen. Alles scheint möglich.

Anfang 2017 dann der Schock: 18.000 Herzschläge zusätzlich! Katharinas Leben ist in Gefahr und eine erneute OP unausweichlich. Dr. Dinh Quang Nguyen, Herzchirurg am St. Vinzenz-Hospital in Köln und spezialisiert auf Extrasystolen, gelingt es in einer viereinhalbstündigen OP, gleich mehrere Ursprungsorte ihrer Extrasystolen aufzuspüren und zu veröden.

Am Bildschirm verfolgt Katharina mit, wie ihr Herz immer normaler schlägt. Mit nur noch 3.000 Extraschlägen und neuem Mut verlässt sie die Klinik. Sie kämpft sich zurück an die Leistungsspitze. Als sie im Sommer 2018 bei ihrem ersten Wettkampf die 4 Meter überspringt, ist sie überglücklich. Ihr Herz schlägt ruhig, sie kann unbeschwert trainieren – ein völlig neues Lebensgefühl, das mit dem Gewinn der Deutschen Hallenmeisterschaft gekrönt wird.   

„Wenn ich risikofrei leben wollte, brauchte ich den Defi“

Doch schon wenige Monate später melden sich die Extrasystolen zurück und die Ärzte machen Katharina unmissverständlich klar, dass sie hochgradig gefährdet ist, einen plötzlichen Herztod zu erleiden.


Risiko plötzlicher Herztod: Bei Kammerflimmern hilft nur ein Elektroschock

Ursache des plötzlichen Herztodes ist eine gestörte Erregungsweiterleitung am Herzen. Ziehen sich die Herzmuskelzellen unkoordiniert zusammen, kann dies zu einem gefährlichen, schnellen Herzrhythmus führen – dem Kammerflimmern, der mit Abstand häufigsten Ursache des plötzlichen Herztodes. Die Organe, vor allem das Gehirn werden nicht ausreichend mit sauerstoffhaltigem Blut versorgt, es kommt zu Bewusstlosigkeit und – wenn nicht schnell gehandelt wird – innerhalb weniger Minuten zum plötzlichen Herztod. Nur ein Elektroschock, der alle Herzmuskelzellen gleichzeitig erregt, kann das Kammerflimmern beenden und den normalen Herzrhythmus wieder herstellen (Defibrillation). 

Der plötzliche Herztod scheint oft völlig gesunde Menschen zu treffen. Im Nachhinein stellt sich jedoch meist heraus, dass infolge einer koronaren Herzkrankheit (KHK) oder eines Herzinfarkts die Herzmuskulatur geschädigt war. Auch strukturelle Veränderungen des Herzens aufgrund einer Herzschwäche oder Herzentzündung können die Erregungsleitung stören. Weitere Risikofaktoren für den plötzlichen Herztod sind spezielle Formen einer Kardiomyopathie, das Brugada- oder QT-Syndrom. Gab es in der Familie Fälle von plötzlichem Herztod, sollte man sich unbedingt untersuchen lassen.


Als letzten Ausweg rieten die Ärzte der Profisportlerin, einen Defibrillator einsetzen zu lassen, der kontinuierlich den Herzrhythmus überwacht und im Notfall automatisch einen lebensrettenden Schock abgibt. „Damals dachte ich, das sei der schlimmste Tag meines Lebens. Durch die Diagnose und die Gespräche spürte ich permanent mein Herz poltern. Ich war psychisch am Ende. Aber Aufgeben war nie eine Option für mich.“

Für Katharina Bauer kam nur der subkutane Defibrillator (S-ICD) in Frage. Das Gerät sitzt unter dem linken Latissimusmuskel neben dem Brustkorb und die Elektrode unmittelbar unter der Haut über dem Brustbein. Im Gegensatz zu einem transvenösen Defibrillator (transvenös = durch die Vene) bleiben beim S-ICD die Gefäße und das Herz unberührt. Das hat unter anderem den Vorteil, dass das Herz bei sportlichen Aktivitäten nicht verletzt wird.


S-ICD kann Leben retten

Der subkutane implantierbare Defibrillator, kurz S-ICD, ist ein etwa handflächengroßes und 130 g schweres elektronisches Gerät. Der S-ICD wird am linken Brustkorb unter die Haut implantiert und überwacht kontinuierlich den Herzrhythmus. Erkennt er einen bedrohlich schnellen Herzrhythmus (Kammerflimmern), gibt er automatisch einen lebensrettenden elektrischen Schock ab, um diesen zu beenden und den normalen Herzrhythmus wiederherzustellen (Defibrillation). Auf diese Weise kann der Defibrillator vor einem plötzlichen Herztod bewahren. Das Besondere am S-ICD: Die Elektrode sitzt direkt unter der Haut (subkutan) und wird nicht – wie beim transvenösen Defibrillator (TV-ICD) – in die Gefäße und in das schlagende Herz eingebracht. Beim S-ICD bleibt das Herz unberührt.


Heute ist Katharina Bauer dankbar für ihren „ständigen Begleiter und Lebensretter“, wie sie den subkutanen Defibrillator nennt. „Er hilft mir, angstfrei durchs Leben zu gehen.“ Trotz des Defibrillators ist sie weiterhin im Leistungssport erfolgreich aktiv. Sie wurde Deutsche Vizemeisterin und für die Weltmeisterschaft in Doha nominiert. Ihr großes Ziel, einmal an den olympischen Spielen teilzunehmen, verfolgt sie weiter. Ihr Defi und ihre mentale Stärke helfen ihr dabei. 

Foto: BEAUTIFUL SPORTS/Axel Kohring