Neue Studie beleuchtet erstmals professionelle Gesundheitskompetenz von Ärzten und Pflegefachpersonen
Bisher standen beim Thema Gesundheitskompetenz verstärkt die persönlichen Fähigkeiten des Einzelnen im Fokus. Nun beleuchtet eine Studie zum ersten Mal die professionelle Gesundheitskompetenz, also die Fähigkeiten auf Seiten der Gesundheitsprofessionen und -berufe. Die Hertie School in Berlin und die Universität Bielefeld haben in Zusammenarbeit mit der Stiftung Gesundheitswissen erstmals eine Befragung zur professionellen Gesundheitskompetenz durchgeführt. Die Ergebnisse, die heute in Berlin vorgestellt werden, zeigen, wo Herausforderungen bestehen.
Die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung wird nicht nur von individuellen Fähigkeiten des Einzelnen, sondern auch von den Anforderungen beeinflusst, die das Gesundheitssystem und auch die darin tätigen Gesundheitsberufe an sie stellen. Wie leicht oder schwer ist es für Ärzte und Ärztinnen oder Pflegende, sich selbst auf dem aktuellen Wissensstand zu halten? Können sie Wissen und entsprechende Informationen Patientinnen und Patienten verständlich vermitteln? Gelingt es ihnen, dabei an das Vorwissen von Patientinnen und Patienten anzuknüpfen und Informationen auf deren persönliche Situation zuzuschneiden? Genau diesen und anderen Fragen konnte mit einem neu entwickelten Erhebungsinstrument zur professionellen Gesundheitskompetenz bei Ärzten und Ärztinnen bzw. Pflegefachpersonen nun erstmals nachgegangen werden. „Etwas vereinfacht gesagt, sind mit professioneller Gesundheitskompetenz die Fähigkeiten gemeint, die nötig sind, um die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu fördern. Bislang war wenig darüber bekannt, wie leicht oder schwer es Gesundheitsprofessionen fällt, sich auf dem aktuellen Wissensstand zu halten, Patientinnen und Patienten Informationen und Wissen verständlich zu vermitteln und dabei so zu kommunizieren, dass dies an deren Vorwissen und den Fähigkeiten anknüpft“, sagt Professorin Dr. Doris Schaeffer von der Universität Bielefeld. „Diese haben wir nun erstmals mit Kolleginnen und Kollegen aus der Schweiz und Österreich in einem neuen Konzept definiert und mit einem neu entwickelten Fragebogen bei Ärzten und Pflegefachpersonen untersucht.“
In der Onlinebefragung unter rund 300 Allgemeinmedizinern, hausärztlich tätigen Internisten sowie 600 Pflegefachpersonen wurden Fragen zu vier verschiedenen Aufgabenbereichen gestellt: Informations- und Wissensmanagement, Informations- und Wissensvermittlung, patientenzentrierte Kommunikation und professionelle digitale Gesundheitskompetenz. „Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten, haben unmittelbar Einfluss auf die Gesundheitskompetenz ihrer Patientinnen und Patienten“, erläutert PD Dr. Ralf Suhr, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Gesundheitswissen. „Deshalb ist es wichtig, sich damit zu befassen, wie sie deren Gesundheitskompetenz fördern können“, so Suhr. Die Studie gibt Aufschluss zu Herausforderungen, vor die sich die Gesundheitsprofessionen dabei gestellt sehen und bietet Ansatzpunkte für Verbesserungen in Praxis und Ausbildung sowie eine Grundlage für zukünftige Forschung.
Aufgaben sind gut zu bewältigen, aber es bestehen auch Herausforderungen
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die befragten Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegefachpersonen ihre Fähigkeiten und den Umgang mit Aufgaben, die mit der Förderung der Gesundheitskompetenz von Patienten verbunden sind, insgesamt als recht positiv bewerten. Die Mehrzahl der Aufgaben wurde als „gut zu bewältigen“ eingeschätzt. Allerdings zeigen sich auch Herausforderungen. So besteht bei dem Umgang mit statistischen Ergebnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen noch Verbesserungspotenzial. Rund ein Viertel (24 Prozent) der Ärzte und Ärztinnen und 17 Prozent der Pflegenden schätzen als schwierig ein, statistische Ergebnisse korrekt einzuordnen. Auch die Beurteilung der Evidenz und Vertrauenswürdigkeit von Fachinformationen, gehören zu den für die Gesundheitsprofessionen schwierigen Aufgaben im Bereich des Informations- und Wissensmanagements.
Einblick in die Studienergebnisse
Alle Ergebnisse zur Studie „Professionelle Gesundheitskompetenz ausgewählter Gesundheitsprofessionen in Deutschland“ finden Sie hier.
Umgang mit fehl- oder falschinformierten Patienten fällt schwer
Ebenfalls nicht leicht, so ein weiteres Ergebnis der Studie, fällt den Gesundheitsprofessionen die systematische Vermittlung von Gesundheitsinformationen. Besonders schwer beurteilen beide Berufsgruppen hier, mit Herausforderungen bei der Informationsvermittlung umzugehen, so etwa sich mit fehl- oder falschinformierten Patientinnen und Patienten auseinanderzusetzen: Knapp die Hälfte (45 Prozent) der Ärztinnen und Ärzte und 37 Prozent der Pflegenden stellt das vor Schwierigkeiten.
„Gerade im Internet stehen zuverlässige Informationen neben Fehl- und Falschinformationen und diese stoßen auf größere Resonanz als wünschenswert ist“, so Professorin Dr. Doris Schaeffer. „Fehl- und Falschinformationen verunsichern nicht nur, sondern führen auch zu unrichtigen Wissensannahmen. Durch diese Entwicklung sind die Gesundheitsprofessionen vermehrt gefordert, Wissen zu korrigieren und Umlernprozesse einzuleiten – eine schwierige und zeitaufwändige Aufgabe“, erklärt Schaeffer.
Auch aus diesem Grund ist die Bereitstellung von qualitätsgesicherten Gesundheitsinformationen und ein niedrigschwelliger Zugang zu diesem Wissen von großer Bedeutung. „Wissen allein führt aber noch nicht zu verändertem Verhalten“, betont PD Dr. Suhr. „Deshalb haben wir bereits frühzeitig gemeinsam mit Ärztinnen und Ärzten damit begonnen, unsere Informationen so auszurichten, dass sie auch im Alltag nützen und viel stärker als bisher in die spezifischen Lebenswelten hineinwirken. Mit den Ergebnissen der vorliegenden Studie können wir diese Ansätze zur Stärkung der Gesundheitskompetenz insbesondere im Kontext der Arztpraxis noch gezielter weiterentwickeln“, so Suhr.
Zentrale Aussagen auf einen Blick
- Am schwersten fällt es beiden Gesundheitsprofessionen/-berufen, statistische Ergebnisse korrekt einzuordnen.
- An zweiter und dritter Stelle betrachten die Befragten die Einschätzung bzw. Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit von Fachinformationen und die Einordnung der wissenschaftlichen Basis als herausfordernd.
Bereich Informations- und Wissensvermittlung
- Die Aufgabe „Mit fehl- oder falschinformierten Patientinnen/Patienten umzugehen“ stellt sowohl für Ärztinnen und Ärzte als auch Pflegefachpersonen hier die größte Herausforderung dar.
- An zweiter Stelle folgt ebenfalls für beide Gesundheitsprofessionen/-berufe „einzuschätzen, inwieweit kulturelle Unterschiede das Verständnis erschweren“.
- An dritter Stelle stellt Ärztinnen und Ärzte vor Schwierigkeiten, „das Vorwissen von Patientinnen und Patienten einzuschätzen“. Für Pflegende steht an dieser Stelle „einzuschätzen, inwieweit Patientinnen und Patienten mit Informationen umgehen können“
Bereich patientenzentrierte Kommunikation
- Beide Gesundheitsprofessionen/-berufe bewerten diesen als den einfachsten Aufgabenbereich.
- Am schwersten fallt es Ärztinnen und Ärzten hier, gemeinsam „mit Patientinnen und Patienten Ziele festzulegen und das weitere Vorgehen zu entscheiden“.
- Bei den Pflegefachpersonen wird die Aufgabe „Patientinnen und Patienten Raum zu geben, um Fragen zu stellen“ als am schwierigsten bewertet.
Bereich professionelle digitale Gesundheitskompetenz
- Beide Gesundheitsprofessionen/-berufe nehmen diesen Aufgabenbereich als den schwierigsten wahr.
- Am schwierigsten schätzen beide Gruppen ein, „Patientinnen und Patienten dabei zu unterstützen, die Vertrauenswürdigkeit gefundener digitaler Gesundheitsinformationen zu beurteilen“, gefolgt davon, „Patientinnen und Patienten dabei zu unterstützen, die für sie relevanten digitalen Gesundheitsinformationen zu finden“.
Kaum wahrgenommene Probleme bei patientenzentrierter Kommunikation
Den Aufgabenbereich patientenzentrierte Kommunikation bewerten beide Berufsgruppen mit Abstand als am leichtesten. Die größten Herausforderungen sehen rund 11 Prozent der Ärztinnen und Ärzte bzw. 13 Prozent der Pflegenden darin, zu gemeinsamen Entscheidungen mit Patienten und Patientinnen zu gelangen, etwa gemeinsam Ziele festzulegen und das weitere Vorgehen zu entscheiden. Eine vertrauens- und respektvolle Gesprächsatmosphäre herzustellen hingegen, wird von fast 90 Prozent der Ärztinnen und Ärzte als eher einfach oder sehr einfach bewertet. Auch bei den Pflegefachpersonen wird diese Aufgabe mit 82 Prozent als eher unproblematisch eingeschätzt. Die Ergebnisse stehen allerdings nicht unbedingt im Einklang mit Resultaten bevölkerungsbasierter Studien: „Aus Befragungen wissen wir, dass Patientinnen und Patienten sich oft nicht ausreichend abgeholt, mitgenommen und in die Ziel- und Entscheidungsfindung einbezogen fühlen. Auch werden Ausführungen und Erklärungen nicht immer verstanden“, gibt Schaeffer zu bedenken. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich bei der Vielzahl an Konsultationen eine gewisse Routine bei der Kommunikation einstellt, die nicht notwendigerweise etwas über den Erfolg der Kommunikation aussagt.
Unterstützung im Umgang mit digitalen Informationen bereitet die größten Schwierigkeiten
Den größten Handlungsbedarf sieht die Studie bei der professionellen digitalen Gesundheitskompetenz, gemeint ist dabei, Patientinnen und Patienten im Umgang mit digitalen Informationen zu unterstützen. Ca. ein Drittel der Befragten (33 bis 39 Prozent) schätzt es beispielsweise als schwierig ein, Patientinnen/Patienten dabei behilflich zu sein, die Vertrauenswürdigkeit gefundener digitaler Informationen zu beurteilen oder ihnen dabei zu helfen, die richtigen digitalen Informationen ausfindig zu machen. „Hier braucht es für beide Seiten, die der Patienten, aber auch die der Gesundheitsprofessionen mehr Unterstützung, denn die digitale Gesundheitskompetenz ist eine Schlüsselkompetenz, die alle Seiten für eine besser gelingende digitale Transformation im Gesundheitswesen benötigen“, erklärt Suhr.
Grundlage für systematische Entwicklung von Maßnahmen gelegt
Mit den Ergebnissen dieser Studie liegt nun erstmals eine systematische Übersicht über die professionelle Gesundheitskompetenz vor. „Es ist gut zu sehen, dass die Ergebnisse insgesamt recht positiv ausfallen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass in den einzelnen Bereichen Aufgaben bestehen, deren Bewältigung offenbar nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Dies verdeutlicht den akuten Handlungsbedarf bei der Verbesserung professioneller Gesundheitskompetenz“, so Professorin Dr. Schaeffer. Die identifizierten Schwierigkeiten bieten dabei wichtige Hinweise, wo hierbei angesetzt werden kann. „Basierend auf der Übersicht, die uns diese Studie bietet, können nun weitere Maßnahmen zur Förderung konzipiert und detailliertere Forschungsfragen generiert werden. Damit ist die Studie nicht nur die erste ihrer Art, sondern bietet einen Datenschatz, den es zu nutzen gilt“, erläutert PD Dr. Suhr. Dabei kommt nicht zuletzt der Ausgestaltung organisatorischer Rahmen- und der Ausbildungsbedingungen eine besondere Bedeutung zu, zieht die Studie doch für fast alle Aufgabenbereiche die Schlussfolgerung, dass Gesundheitsprofessionen die Aufgaben professioneller Gesundheitskompetenz umso leichter fallen, je besser diese Bedingungen gestaltet sind. Das gilt auch für die organisatorischen Rahmenbedingungen.
Hintergrund zur Studie
Die Studie wurde unter der Leitung von Professorin Dr. Doris Schaeffer (Universität Bielefeld) mit Professor Dr. Mujaheed Shaikh (Hertie School, Berlin) und in Kooperation mit der Stiftung Gesundheitswissen durchgeführt. Für die Untersuchung wurde zunächst ein Konzept professioneller Gesundheitskompetenz erarbeitet und in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen aus Österreich und der Schweiz (Gesundheit Österreich (GÖG), Wien und Careum, Zürich) ein neuer Fragebogen entwickelt, der in den drei beteiligten Ländern im Sommer 2022 eingesetzt wurde. Dieser misst die professionelle Gesundheitskompetenz in insgesamt vier Aufgabenbereichen: im Informations- und Wissensmanagement, bei der Informations- und Wissensvermittlung, bei der patientenzentrierten Kommunikation und dabei Patientinnen und Patienten speziell im Umgang mit digitalen Gesundheitsinformationen zu unterstützen. An der Befragung in Deutschland haben rund 300 Allgemeinärztinnen und Allgemeinärzte und hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten sowie über 600 Pflegefachpersonen teilgenommen. Die Fragebogenentwicklung wurde für den deutschen Studienteil von der Robert Bosch Stiftung unterstützt.
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