Tuberkulosetherapie: Winzige Teilchen sollen künftig Wirkstoff in die Lunge bringen
Die Therapie der gefährlichen Infektionskrankheit Tuberkulose steht vor der Herausforderung, dass Erreger häufig gegen mehrere gängige Antibiotika resistent sind. Forschende am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben nun Nanopartikel entwickelt, die in Zukunft neue Antibiotika direkt in die Lunge transportieren könnten. Tenside sorgen dafür, dass sich die hoch fettlöslichen Antibiotika in Wasser fein verteilen und inhalieren lassen. Erste Tests am Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum, zeigen die hohe Wirksamkeit und gute Verträglichkeit der Antibiotika-Nanocarrier. Die Forschenden berichten in der Zeitschrift ACS Nano. (DOI: 10.1021/acsnano.3c01664)
Weltweit ist die Tuberkulose die Infektionserkrankung mit den höchsten Todesfallzahlen. Wie die WHO berichtet, nehmen überdies vor allem therapieresistente Tuberkuloseinfektionen zu. Auch in Deutschland kann es zu Erkrankungen durch diese bakterielle Infektion kommen. Die Tuberkulose stellt aus zwei Gründen eine besondere Herausforderung dar: Erstens kapseln sich die Bakterien im Gewebe ein, meist in der Lunge, und können über Jahre inaktiv bleiben, um dann lange nach der primären Infektion Symptome auszulösen. Zweitens zeigen Tuberkulose-Bakterien häufig Resistenzen, mindestens gegen zwei der gängig eingesetzten Antibiotika. Das vermehrte Auftreten therapieresistenter Erregerstämme ist auf unzureichende Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion und vorzeitigen Behandlungsabbruch unter anderem wegen der häufig erheblichen Nebenwirkungen der Antibiotika zurückzuführen.
Ein nanomedizinischer Ansatz kann dabei helfen, die Entwicklung weiterer Resistenzen zu verringern: Nanopartikel sollen als Träger neuer Antibiotika dienen und diese zielgerichtet zu Infektionsherden und infizierten Zellen bringen. So lässt sich die Wirkstoffkonzentration in der Lunge lokal erhöhen. „Die neu entwickelten Antibiotika sind allerdings häufig lipophil, das heißt fettlöslich, und lassen sich in Wasser nicht oder schwer verabreichen. Daher werden sie aus Magen, Blut und Zellflüssigkeit bisher nur schlecht aufgenommen“, erklärt Professor Claus Feldmann, Leiter einer Forschungsgruppe am Institut für Anorganische Chemie (AOC) des KIT.
Aktuell werden an Tuberkulose erkrankte Patientinnen und Patienten mit hohen Dosen über einen langen Zeitraum behandelt, um die Erreger in den Infektionsherden zu erreichen. Die zum Teil schweren Nebenwirkungen wie Leberschädigungen sind häufig Gründe für Therapieabbrüche mit der Folge weiterer Resistenzentwicklung. Künftig sollen die Nanopartikel dabei helfen, Antibiotika zielgerichtet zu transportieren. „Wir haben schon einige Nanocarrier für den Transport von Antibiotika gegen die Tuberkuloseerreger in Mäusen getestet, aber erst die neuen Nanocarrier unserer Kolleginnen und Kollegen vom KIT haben mich davon überzeugt, dass es möglich ist, gezielt und hochdosiert Antibiotika in die Tuberkuloseherde der Lunge zu bringen, ohne dabei andere Organe in Mitleidenschaft zu ziehen“, sagt Professor Ulrich E. Schaible, Leiter der Zellulären Mikrobiologie und Direktor des Forschungszentrums Borstel, Leibniz Lungenzentrum.
Am KIT entwickelte Partikel weisen extrem hohe Wirkstoffgehalte auf
Am Institut für Anorganische Chemie des KIT ist es gelungen, Nanopartikel mit Tuberkulose-Antibiotika herzustellen, die extrem hohe Wirkstoffgehalte aufweisen. „Der Antibiotikumgehalt beträgt bis zu 99 Prozent des Gesamtgewichts der Partikel“, berichtet Feldmann. „Bisher waren nach dem Stand der Literatur höchstens zehn Prozent möglich.“ Die am KIT entwickelten Nanocarrier lassen sich in Wasser dispergieren, also fein verteilen, und als Aerosol tief in der Lunge verabreichen. Am Forschungszentrum Borstel haben Forschende unter Leitung des Tuberkulose-Experten Schaible in Kooperation mit weiteren Partnern in Deutschland, Österreich und Belgien die Wirksamkeit der Nanopartikel getestet und eine hohe Wirksamkeit sowohl im Labor als auch im lebenden Organismus festgestellt. Die Arbeit lief innerhalb des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Verbundvorhabens ANTI-TB. Die Forschenden berichten in der von der American Chemical Society (ACS) herausgegebenen Zeitschrift ACS Nano. Inzwischen haben sich das KIT und das Forschungszentrum Borstel die Methode gemeinsam patentieren lassen. „Bis diese Aerosolformulierung beim Menschen angewendet kann, sind jedoch noch viele Vorarbeiten notwendig“, so Schaible.
Nanocarrier überwinden biologische Barrieren
Die zum Inhalieren bestimmten amorphen Nanopartikel enthalten das Antibiotikum Bedaquilin mit einem Wirkstoffgehalt von 69 Prozent oder das Antibiotikum BTZ-043 mit einem Wirkstoffgehalt von 99 Prozent. Beide Antibiotika wirken auch gegen multiresistente Tuberkulosebakterien. In den Nanopartikeln sorgen Tenside dafür, dass sich die hoch lipophilen Antibiotika in Wasser dispergieren lassen. Dispersionen mit 4,1 Milligramm Bedaquilin pro Milliliter oder 4,2 Milligramm BTZ-043 pro Milliliter bleiben über mehrere Wochen stabil. Bei Tests an Mäusen zeigten die Nanopartikel-Dispersionen eine um 50 Prozent höhere Wirksamkeit als herkömmliche BTZ-043-Lösungen zur pulmonalen Inhalation. Die Nanocarrier bewiesen eine gute Fähigkeit, die verschiedenen biologischen Barrieren zu überwinden und waren in hohen Mengen in der Lunge, aber nicht in Leber und Milz nachzuweisen. (or)
Originalpublikation
David Rudolph, Natalja Redinger, Katharina Schwarz, Feng Li, Gabriela Hädrich, Michaela Cohrs, Lea Ann Dailey, Ulrich E. Schaible, and Claus Feldmann: Amorphous Drug Nanoparticles for Inhalation Therapy of Multidrug-Resistant Tuberculosis.
ACS Nano, 2023. DOI: 10.1021/acsnano.3c01664
Abstract unter https://pubs.acs.org/doi/full/10.1021/acsnano.3c01664
Über das Forschungszentrum Borstel, Leibniz Lungenzentrum (FZB)
Das Forschungszentrum Borstel ist das Lungenforschungszentrum der Leibniz-Gemeinschaft. Im Fokus stehen chronisch-entzündliche Lungenerkrankungen wie Asthma, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Allergien, sowie infektionsbedingte Entzündungen der Lunge wie Tuberkulose. Das übergeordnete Ziel der interdisziplinären Forschungsaktivitäten ist, die Ursachen und Mechanismen chronisch-entzündlicher und degenerativer Erkrankungen der Lunge aufzuklären, um daraus neue innovative Konzepte zu deren Diagnostik, Prävention und Therapie abzuleiten.
Als „Die Forschungsuniversität in der Helmholtz-Gemeinschaft“ schafft und vermittelt das KIT Wissen für Gesellschaft und Umwelt. Ziel ist es, zu den globalen Herausforderungen maßgebliche Beiträge in den Feldern Energie, Mobilität und Information zu leisten. Dazu arbeiten rund 9 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf einer breiten disziplinären Basis in Natur-, Ingenieur-, Wirtschafts- sowie Geistes- und Sozialwissenschaften zusammen. Seine 22 300 Studierenden bereitet das KIT durch ein forschungsorientiertes universitäres Studium auf verantwortungsvolle Aufgaben in Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft vor. Die Innovationstätigkeit am KIT schlägt die Brücke zwischen Erkenntnis und Anwendung zum gesellschaftlichen Nutzen, wirtschaftlichen Wohlstand und Erhalt unserer natürlichen Lebensgrundlagen. Das KIT ist eine der deutschen Exzellenzuniversitäten.
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