Eine erfolgreiche Gewichtsreduktion gilt als wichtiger Teil der Therapie von Typ-2-Diabetes. Trotzdem tauchen immer wieder Studien auf, die den Stellenwert des Abnehmens in Frage stellen. Neue Daten einer groß angelegten Beobachtungsstudie, die am DIfE in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) durchgeführt wurde, sprechen aber für die aktuellen Empfehlungen der Ärzte. Die im Fachblatt ‚Diabetologia‘ veröffentlichten Ergebnisse deuten darauf hin, dass Fettleibigkeit und Gewichtszunahme zu Gefäßstörungen führen können, die Haupterkrankungs- und Haupttodesursache für Menschen mit Typ-2-Diabetes sind.

Gefäßstörungen unter der Lupe
Das Gewicht spielt eine entscheidende Rolle für die Entstehung eines Typ-2-Diabetes. Ob und wie Fettleibigkeit und Gewichtsveränderungen zu Spätfolgen von Typ-2-Diabetes führen, ist jedoch wenig erforscht. Insbesondere Studien, die Vergleichsdaten zwischen mikro- und makrovaskulären Erkrankungen liefern, fehlen bisher. Mikrovaskuläre Komplikationen betreffen die kleinen Blutgefäße und können unheilbare Schäden in Nieren, Nerven und Augen verursachen, also zu Dialyse, Amputation und Blindheit führen. Makrovaskuläre Komplikationen wirken sich hingegen auf die großen Blutgefäße aus und begünstigen Herzinfarkt und Schlaganfall.

Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Menschen mit Typ-2-Diabetes ihr Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall durch weniger Kilos auf der Waage kaum beeinflussen können. „Die meisten Studien beginnen allerdings bei bereits erkrankten Personen, bei denen das Gewicht auch Folge der medikamentösen Therapie sein kann. Wir haben den Body-Mass-Index (BMI) vor der Diabetesdiagnose und somit unbeeinflusst durch die Therapie untersucht“, erklärt die Erstautorin Elli Polemiti, Promovierende der Abteilung Molekulare Epidemiologie von Professor Schulze am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE).

Bedeutung des BMI für das Risiko mikrovaskulärer Komplikationen

Das Team um Professor Matthias Schulze untersuchte, ob der BMI vor einer Typ-2-Diabetes-Diagnose und eine BMI-Änderung nach der Diagnose im Zusammenhang mit dem Auftreten mikro- und makrovaskulärer Komplikationen steht. Dafür beobachtete das Forschungsteam über zehn Jahre hinweg rund 1.000 Teilnehmende der EPIC-Potsdam-Studie mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes, die frei von anderen chronischen Krankheiten waren.

Keinen eindeutigen Zusammenhang konnten die Forschenden zwischen dem BMI und dem Auftreten makrovaskulärer Komplikationen feststellen. Anders sah es mit den mikrovaskulären Komplikationen aus: Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Übergewicht die Funktion der kleinsten Blutgefäße, also der Arteriolen und Kapillaren, stören kann. Jeder um fünf Punkte höhere BMI zum Zeitpunkt der Diabetes-Diagnose war mit einem 21 Prozent höheren Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen verbunden. „Dieses kontinuierlich steigende Risiko ist unabhängig vom Ausgangswert. Das heißt, ein Patient mit einem BMI von 35 im Vergleich zu 30 hat ein um 21 Prozent höheres Risiko. Genauso jemand, der einen BMI von 28 im Vergleich zu 23 hat“, erklärt Elli Polemiti.

Das Forschungsteam untersuchte auch die Auswirkungen von Gewichtsveränderungen nach der Diabetes-Diagnose. Ärzte empfehlen übergewichtigen und adipösen Menschen mit Typ-2-Diabetes routinemäßig, mindestens fünf Prozent des Körpergewichts zu verlieren, um die Stoffwechsellage zu verbessern. Für einen 80 Kilogramm schweren Menschen bedeutet das einen Verlust von vier Kilogramm. Eine Gewichtsreduktion kann zu verbesserten Blutdruck,- Blutfett- und Blutzuckerwerten führen. „Unsere Daten bestärken die Empfehlungen zum Gewichtsmanagement: Je stärker die Gewichtsabnahme nach der Diagnose war, desto geringer war auch das Risiko für mikrovaskuläre Komplikationen. Nahmen die Probanden jedoch stattdessen zu, so stieg auch das Risiko“, fasst Professor Matthias Schulze die Ergebnisse zusammen.

Mit Gewichtskontrolle Blutgefäße schützen

Schulze und sein Team geben mit ihrer Beobachtungsstudie einen differenzierten Blick darauf, wie Übergewicht die Spätfolgen eines Typ-2-Diabetes begünstigen kann. „Wir konnten zwar keinen klaren Zusammenhang zwischen Übergewicht und makrovaskulären Komplikationen beobachten, dafür sind unsere Daten für mikrovaskuläre Komplikationen ziemlich eindeutig. Unsere Ergebnisse unterstreichen somit, wie wichtig die Gewichtsabnahme für die Verhinderung schwerer diabetesassoziierter Komplikationen ist“, erklärt die Nachwuchswissenschaftlerin Polemiti.

Original-Publikation:

Polemiti, E., Baudry, J., Kuxhaus, O., Jäger, S., Bergmann, M. M., Weikert, C., Schulze, M. B.: BMI and BMI change following incident type 2 diabetes and risk of microvascular and macrovascular complications: the EPIC-Potsdam study. Diabetologia in press (e-pub ahead of print) (2021) [Open Access] https://doi.org/10.1007/s00125-020-05362-7

Hintergrundinformationen

Body-Mass-Index
Der Body-Mass-Index (BMI) ist das meist genutzte Maß für die Definition von Übergewicht und Adipositas. Er wird berechnet, indem das Gewicht in Kilogramm durch das Quadrat der Körpergröße in Metern geteilt wird. Während ein gesunder Bereich laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei 18,5 bis 24,9 kg/m2 liegt, gilt ein BMI zwischen 25 bis 29,9 kg/m2 als Übergewicht und ein BMI von 30 kg/m2 oder höher als Adipositas.

EPIC-Studie
Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition (EPIC) ist eine der größten Langzeitstudien weltweit. Ziel ist es, den Einfluss der Ernährung auf die Entstehung von Krebs und anderen chronischen Erkrankungen zu erforschen. Das DIfE ist seit 1994 verantwortlich für die Potsdamer EPIC-Studie mit rund 27.500 Probandinnen und Probanden.

Das Deutsche Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (DIfE) ist Mitglied der Leibniz-Gemeinschaft. Es erforscht die Ursachen ernährungsassoziierter Erkrankungen, um neue Strategien für Prävention, Therapie und Ernährungsempfehlungen zu entwickeln. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die Ursachen und Folgen des metabolischen Syndroms, einer Kombination aus Adipositas (Fettsucht), Hypertonie (Bluthochdruck), Insulinresistenz und Fettstoffwechselstörung, die Rolle der Ernährung für ein gesundes Altern sowie die biologischen Grundlagen von Nahrungsauswahl und Ernährungsverhalten. Das DIfE ist zudem ein Partner des 2009 vom BMBF geförderten Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD).

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung (DZD) e.V. ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind das Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrum München an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Zentrum München am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner.