Ultraschall als „Babyfernsehen“ ab 2021 verboten – aus medizinischer Sicht
Ultraschalluntersuchungen im Rahmen der Schwangerenbetreuung ohne medizinische Indikation sind zum Jahreswechsel 2020/2021 gesetzlich untersagt. Welche Fragen und Antworten sich aus der Modernisierung der Strahlenschutzverordnung in medizinischer Sicht ergeben, soll im Folgenden dargestellt werden.
Frage:
Bedeutet medizinische Notwendigkeit und ärztliche Indikation nicht, dass die Ultraschallleistung „automatisch“ zur Kassenleistung wird?
Antwort:
Eine ärztlich indizierte Ultraschallleistung in der Schwangerschaft unterliegt ebenfalls § 12 SGB V. Dies bedeutet, dass die sogenannten WANZ-Kriterien – wirtschaftlich, ausreichend, notwendig, zweckmäßig – auch in diesem Kontext gelten.
Eine Indikation für einen zusätzlichen Ultraschall (US) in der Schwangerschaft stellen wir fachärztlich als Frauenärzt-Innen. Insofern kann eine gewünschte kurzfristigere bzw. erneute fetale Wachstumskontrolle indiziert sein.
Nach § 12 SGB V hingegen kann eine derartige Kontrolle jedoch über das ausreichende Maß hinausgehend eingestuft sein. Die Sorge einer werdenden Mutter kann somit, jenseits von weiteren klinischen Parametern (beispielsweise Symphysen-Fundus-Abstand), eine medizinische Indikation ergeben, die außerhalb der üblichen Regelversorgung liegt. Neben einer zusätzlichen Wachstumskontrolle des Feten könnte dies ebenso eine erneute Kontrolle der Fruchtwassermenge darstellen. Letztlich wird es keine abschließende Indikationsliste geben können.
Beispiele wie eine Art von Ultraschall- Bonding des Partners können ebenso in der täglichen Praxis vorkommen wie das Schildern von Schwangerschaftsbeschwerden, die wir fachärztlich als typisch und harmlos einstufen, jedoch erst durch die Visualisierung mittels Ultraschall für die Schwangere eine Beruhigung und Stabilisierung ergeben.
Frage:
Wie verhält es sich hier mit der Durchführung von 3D- bzw. 4D-Ultraschall-Untersuchungen im Rahmen der neuenStrahlenschutzgrundverordnung? Sind diese jetzt von der Diagnostik ausgeschlossen bzw. nach der neuen Strahlenschutzgrundverordnung verboten?
Antwort:
Nein, entgegen vielerlei anderslautender Behauptungen führt die 3D-/4DSonografie nicht zu einer höheren, sondern – im Vergleich mit allen anderen Darstellungsmöglichkeiten – zu einer geringeren Ultraschall-Exposition für den Feten. Ursächlich hierfür sind die deutlich längeren zeitlichen Intervalle bezogen auf einen Ort zwischen zwei Abtastvorgängen.
Betrachtet man eine Schnittebene im konventionellen 2D, so wird hier das Bild pro Sekunde und je nach technisch eingestellter Rahmenbedingung etwa 20–50 x pro sec. mit Ultraschall-Pulsen erzeugt. Hierzu werden im Vergleich dieselben Strukturen bei einer Volumenaufnahme viel seltener, nur etwa 2–15 x pro sec. abgetastet. Ursächlich ist hier die Arbeitsweise der modernen Sonografiesysteme, die das Volumen aus zahlreichen parallelen Einzelschnitten berechnen. Diese Einzelschnitte entstehen jedoch nicht zur gleichen Zeit, sondern zeitlich nacheinander. Das hat zur Folge, dass jeder Einzelort des erfassten Volumens deutlich seltener von einem Ultraschall-Puls getroffen wird als im Fall des 2D Verfahrens oder gar bei Einsatz eines gepulsten Dopplers.
Frage:
Darf ein Bildausdruck oder eine Videosequenz ab Januar nicht mehr an die Schwangere abgegeben werden?
Antwort:
Dies ist weiterhin statthaft. Zur sorgfältigen Durchführung ärztlicher Leistung gehört neben der Indikationsstellung auch die betreffende Dokumentation.
Über die Ultraschall-Vereinbarung mit Qualitätssicherung hinausgehend gehört eine Bilddokumentation zur Ultraschallleistung.
Die betreffenden Bilder/Videosequenzen werden in aller Regel dem Speicher des Ultraschall-Systems für einen Ausdruck entnommen und stellen keine Gefährdung des Feten dar.
Frage:
Gibt es denn überhaupt eine reale Gesundheitsbelastung des Feten durch Ultraschall?
Antwort:
Nein, in jahrzehntelanger intensiver Forschungsarbeit existiert nach wie vor keine einzige Studie, die auf irgendeine Ultraschall-induzierte Gesundheitsbelastung des Feten hindeutet. Die aktuelle Studienlage von 1974–2015 zeigt lediglich, dass eine theoretische Temperaturerhöhung in einem Maße vorhanden ist, die deutlich unterhalb eines Temperaturanstiegs liegt, die etwa durch Fieber oder körperliche Belastung, ausgelöst wird.
Lediglich sehr speziellen, nach strenger Indikationsstellung eingesetzte Betriebsmodi zu Messungen von Strömungsgeschwindigkeiten, dem sogenannten gepulsten Doppler, schreibt man nach mehrminütiger (!) Anwendung einer kontinuierlichen Beschallung eine theoretische Temperaturanstiegserhöhung von mehreren Grad Celsius zu. Aus diesem Grund wird jene Betriebsart nur zur Diagnostik bei bekannten Wachstumsstörungen und einigen wenigen
weiteren Auffälligkeiten eingesetzt, wobei die Beschallungszeit üblicherweise auf ein absolutes Minimum (wenige Sekunden) beschränkt bleibt.
Frage:
Immer wieder hört man, dass fetaler Ultraschall einen möglichen Einfluss auf die fetale Gehirnentwicklung haben könnte, stimmt dies?
Antwort:
Nein, es gibt keine eindeutige Datenlage, die hier einen Einfluss des Ultraschall auf die fetale Hirnentwicklung belegt. Üblicherweise wird hier auf eine US-amerikanische Studie verwiesen, die den Zusammenhang zwischen Ultraschall-Exposition und späterem Autismus anführt. Diese Studie fußt im Wesentlichen einzig und allein auf der Beobachtung, dass das Auftreten von Autismus in den letzten Jahrzehnten etwa in dem gleichen Verhältnis zugenommen hat wie die Anzahl an Ultraschall-Untersuchungen in der Schwangerschaft. Diese Behauptung konnte in keiner weiteren Studie so verifiziert werden. Andere Forschergruppen besprachen beispielsweise die These, dass im gleichen Zeitraum auch die Anzahl strahlungsintensiver Kommunikationsmittel, wie z. B. Mobiltelefone, WLAN etc. zugenommen hat. Auch zeigten weitere, explizit sich mit Autismus beschäftigende Studien mit dem Zusammenhang von Ultaschall und Autismus, dass das Auftreten von Autismus weder mit der Häufigkeit von Ultraschall-Untersuchungen noch mit anderen Leistungseinstellungen des Ultraschall-Gerätes in Zusammenhang gebracht werden konnte. Und folglich muss das Auftreten von Autismus nach dieser aktuellen Studie unabhängig vom Ultraschall bewertet werden.
Frage:
Und wie sieht es eigentlich mit Ultraschall-Untersuchungen aus, die sich nicht in den Mutterschafts-Richtlinienwiederspiegeln, sondern außerhalb dieser liegen, sind diese denn verboten?
Antwort:
Das hängt eindeutig von der medizinischen Indikation und Zielsetzung ab. Nehmen wir als Beispiel sinnvolle Ultraschall- Untersuchungen außerhalb der Mutterschafts-Richtlinien, wie z. B. die Nackentransparenz-Messung (NT) im Rahmen des Ersttrimesterscreenings (ETS) oder auch eine ergänzende Ultraschall-Untersuchung bei Durchführung von NIPT. Völlig klar ist es zum aktuellen Zeitpunkt, dass sowohl die NT-Messung als auch die ergänzende US-Untersuchung im Rahmen eines NIPT nicht innerhalb der Mutterschafts-Richtlinien zu finden sind. Die Sinnhaftigkeit dieser Untersuchungen ist aus medizinischen Gründen jedoch absolut gegeben. Bei der NT brauche ich sie überhaupt zur Berechnung des Risikoprofils und bei der NIPT ist sie deswegen sehr sinnvoll, da gegenüber dem seltenen Auftreten genetischer Erkrankungen, hier sind 0,5 % der geborenen Kinder betroffen, etwa 5% der geborenen Kinder körperliche Besonderheiten haben. Und hier lässt sich zu diesem frühen Zeitpunkt bereits der ein oder andere Majordefekt erkennen, der auch unabhängig von den untersuchten Chromosomen ist oder sogar einen Hinweis auf andere Chromosomenstörungen zeigt.
Diese Ultraschall-Untersuchungen sind hier von der Strahlenschutzgrundverordnung ebenfalls nicht erfasst und da sie außerhalb der Mutterschafts-Richtlinien liegen, werden sie im Rahmen des Bundesmantelvertrages über die GOÄ mit den entsprechenden GOP Nummern als IGeL Leistung bei den Patientinnen abgerechnet.
Frage:
Aber wie sieht es denn nun mit Ultraschall-Untersuchungen aus, die sich die werdende Schwangere oder die werdenden Eltern als zusätzliche Ultraschall-Untersuchung wünschen?
Antwort:
Nun, in der Tat ist das die diffizilste Fragestellung innerhalb der Neuregelung der Strahlenschutzgrundverordnung. Denn hier verlassen wir die eigentlich auf das ungeborene Kind bezogenen Indikationsstellungen und wechseln in der Indikationsbeziehung auf die werdende Mutter bzw. die werdenden Eltern. Im Wesentlichen ist die Fragestellung, mit der sich die werdenden Eltern an ihre betreuenden FrauenärztInnen wenden, nicht immer die spezielle Fragestellung, die wir evtl. wahrnehmen, etwa, ob das Kind eine Trisomie 21 hat, ob das Herz unauffällig ist oder wie es mit den Extremitäten aussieht. Die Fragestellung, mit der sich die werdenden Eltern in „globaler“ Betrachtung an uns betreuende FrauenärztInnen wenden, kann man eher so fassen: Ist mein Kind gesund. Und im Rahmen dieser Fragestellungen ist es heutzutage nicht ungewöhnlich, dass sich werdende Eltern mit einer schlichten Erwartung oder auch einer Sorge an die betreuenden FrauenärztInnen wenden und überprüfen lassen möchten, ob ihr Kind zum Zeitpunkt der Untersuchung ausreichend oder gut gewachsen ist, eine normale Fruchtwasser-Menge hat, evtl. auch nicht zu groß ist, oder aber es besteht auch der besondere Wunsch nach einer Organuntersuchung, weil es im Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis eine derartige Besonderheit bei einem anderen Kind gegeben hat, wie gegebenenfalls eine neurosonografische Auffälligkeit oder auch eine Herzerkrankung etc.; die Fragestellungen hier sind durchaus vielfältig.
Auch dieser Ultraschall ist innerhalb der Mutterschafts-Richtlinien nicht abgebildet und ist demzufolge dann auch eine individuelle Gesundheitsleistung, die im Rahmen des Bundesmantelvertrages über eine Einzelrechnung mit Aufführung der entsprechenden GOPNummern, der GOÄ, abgebildet werden muss. In diesem Fall geschieht das dann eben nicht mit einer kindlichen Indikation (dies wären Mutterschafts-Richtlinien), sondern mit einermütterlichen Indikation, die außerhalb der Mutterschafts-Richtlinien liegt, zur Überwachung und Betreuung des Kindes, was dann eben eine GOÄ-Rechnung benötigt. Die Zielsetzung dieses Ultraschalls ist jedoch eindeutig die Überprüfung des aktuellen Gesundheitszustandes des Kindes; ein Rat wäre hier auf jeden Fall, die entsprechend erhobenen Befunde, wie z. B. Fruchtwasser- Menge, Größe und Gewicht des Kindes auch zu dokumentieren.
Für alle erhobenen Ultraschall-Untersuchungen, wie die oben genannten nach den Mutterschafts-Richtlinien, wie auch die unten genannten nach individueller Gesundheitsleistung, liegt demnach eine ärztliche Indikationsstellung vor. Sollten im Rahmen dieser Ultraschall-Untersuchungen Bildergebnisse entstehen, dürfen diese selbstverständlich den werdenden Eltern mitgegeben werden. Man betrachtet dann das Mitgeben dieser Bildergebnisse aus den Ultraschall-Untersuchungen als Nebennutzen und die durchgeführten Ultraschall-Untersuchungen sollten auch durch das Anfertigen der Bildergebnisse keine nennenswerte Verlängerung erfahren, da nach wie vor auch hier gilt, so wenig wie möglich, nur so viel wie nötig.
Frage:
Was ist denn eigentlich jetzt konkret verboten nach der Novellierung der Strahlenschutzgrundverordnung?
Antwort:
Konkret beschreibt § 10 der neuen Strahlenschutzgrundverordnung, dass ein Fötus bei einer schwangeren Person einem Ultraschall zu nicht medizinischen Zwecken nicht exponiert werden darf. Da die Indikation hierzu von einem Arzt vorzunehmen ist, wird demnach die Ultraschall-Untersuchung bei einem Fetus grundsätzlich unter einen
Arztvorbehalt gestellt. Das bedeutet, nichtärztlichem Personal, wie auch immer, ist die Durchführung einer Ultraschall-Untersuchung an einem Feten untersagt. Mit der Begründung zu § 10 wird der medizinisch indizierte Ultraschall nach den Mutterschafts-Richtlinien, einschließlich aller evtl. zusätzlich notwendigen Ultraschall-Untersuchungen ausdrücklich von diesem Verbot ausgenommen. Nur das sogenannte „Babyfernsehen,“ bei dem der Fet dem Ultraschall im Sinne einer Eventveranstaltung ausgesetzt wird, wird hier namentlich erwähnt. Eine unserer Hauptaufgaben nach dem Inkrafttreten der neuen Strahlenschutzgrundverordnung wird es sein, unseren schwangeren Patienten die völlig unbegründete Angst vor der Methode Ultraschall-Untersuchungen, die durch die Verordnung in einen gewissen Generalverdacht gelangt ist, in der täglichen Beratung und Anwendung zu nehmen.