CiiM-Studie identifiziert Schlüsselmoleküle und mögliche Ansätze zur Verbesserung der Impfantwort

Für ältere Menschen gibt es sogenannte Hochdosis-Grippeimpfstoffe. Der Grund: Ihr Immunsystem spricht auf die Standard-Grippeimpfstoffe nicht immer ausreichend gut an. Warum das so ist und welche molekularen Prozesse dahinterstecken, ist bislang noch unverstanden. In ihrer aktuellen Forschungsarbeit, einer Kohortenstudie mit rund 230 Teilnehmer:innen über 65 Jahren, konnten Wissenschaftler:innen des Zentrums für Individualisierte Infektionsmedizin (CiiM), einer gemeinsamen Einrichtung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI) und der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), nun aber entscheidende Schlüsselmoleküle identifizieren. Die Forscher:innen hoffen, dass ihre Ergebnisse künftig dabei helfen, die Immunantwort auf die Grippeimpfung bei Älteren weiter zu erhöhen. Die Studie ist im Fachjournal „Science Advances“ erschienen.

Alle Jahre wieder ab Anfang Oktober ist es soweit: Die Grippewelle rollt an. „Weil insbesondere ältere Menschen ein erhöhtes Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf haben, sind wirksame Impfstoffe für sie besonders wichtig“, sagt Prof. Yang Li, Wissenschaftliche Direktorin des CiiM und Leiterin der Abteilung „Bioinformatik der Individualisierten Medizin“ am HZI. Für Menschen ab 60 bzw. 65 Jahren gibt es sogenannte Hochdosis-Grippeimpfstoffe, da die Standard-Grippeimpfstoffe bei ihnen nicht hinreichend gut wirken. Doch warum ist das so? „Mit dem Alter kann das Immunsystem offensichtlich nicht mehr so eine schlagkräftige Immunantwort aufbauen“, erklärt Li. „Mit unserer Studie wollten wir herausfinden, womit genau dies zusammenhängt, welche molekularen Prozesse hier eine Rolle spielen – und Ansätze identifizieren, mit denen die Immunantwort verbessert werden könnte.“

Die Basis der Studie bildete eine Kohorte aus 234 Teilnehmer:innen über 65 Jahre, die gegen Grippe geimpft wurden. Ihnen wurde zu insgesamt fünf unterschiedlichen Zeitpunkten – vor und nach der Impfung – Blut entnommen. Das wurde mit Hilfe modernster molekularbiologischer Methoden, die unter dem Begriff „Multi-Omics“ zusammengefasst werden, eingehend untersucht. Die dabei generierten riesigen Datenmengen analysierten die Forscher:innen mit Hilfe von Statistik- und Computermodellen. Dabei verfolgten sie die Frage, wie sich die Immunantwort zwischen denjenigen die gut auf die Impfung ansprechen (Respondern) und denjenigen, bei denen die Impfung nicht wirkt (Non-Respondern) unterscheidet. „Wir konnten eine ganze Reihe wichtiger Moleküle ausmachen, die nach der Impfung mit der guten Immunantwort von Respondern korrelierten. Bei den Non-Respondern waren sie dagegen reduziert oder aber gar nicht vorhanden“, erklärt Dr. Saumya Kumar, Wissenschaftlerin in der Arbeitsgruppe von Yang Li am CiiM und Erstautorin der Studie. „Und anders als die Responder zeigten die Non-Responder eine erhöhte Zahl bestimmter aktivierter Immunzellen im Blut, sogenannte natürliche Killerzellen. Die Unterschiede, die wir zwischen Respondern und Non-Respondern auf verschiedensten Untersuchungsebenen ausmachen konnten, waren tatsächlich sehr deutlich.“

In ihrer Studie gingen die Wissenschaftler:innen außerdem der Frage nach, ob sich bereits vor der Impfung vorhersagen lässt, wie gut die Immunantwort ausfallen wird. „Dafür haben wir uns die Blutproben angeschaut, die vor der Impfung genommen wurden. Die späteren Non-Responder wiesen vor der Impfung erhöhte Werte von Interleukin-15 auf. Hohe Werte dieses Botenstoffs können bei älteren Menschen ein Hinweis auf sich entwickelnde chronische Entzündungsprozesse sein“, sagt Li. In anschließenden Untersuchungen im Mausmodell konnten die Forscher:innen zeigen, dass Mäuse, denen die Rezeptoren für den Botenstoff fehlten, eine verbesserte Antwort auf Immunisierung aufwiesen. „Interleukin-15 ist offensichtlich für die ausbleibende Immunantwort verantwortlich und könnte sich daher gut als Vorhersage-Biomarker eignen“, sagt Li. „Denkbar wäre auch, erhöhte Werte von Interleukin-15 vor der Impfung durch Gabe geeigneter Wirksubstanzen zu reduzieren, um die Immunantwort zu verbessern. Doch solch ein Ansatz ist tatsächlich noch Zukunftsmusik.“

Die Wissenschaftler:innen zeigten in ihrer Studie noch einen weiteren interessanten Ansatz auf: Die Non-Responder wiesen nämlich vor der Impfung deutlich geringere Konzentrationen langkettiger Fettsäuren in ihrem Blut auf als Responder. „Ältere Menschen leiden häufig an Begleiterkrankungen, die mit chronischen Entzündungsprozessen einhergehen. Bestimmte langkettige Fettsäuren wirken entzündungshemmend und unterstützen insgesamt die Entwicklung einer guten Immunantwort“, sagt Kumar. „Eine ausreichende Versorgung mit solchen langkettigen Fettsäuren, wie sie in Fischöl oder gesunden Nüssen vorkommen, könnte eine effektive Möglichkeit sein, neben der allgemeinen Gesundheit auch die Immunantwort auf Grippeimpfungen zu verbessern. Ob und wie gut das funktioniert, müsste noch erforscht werden.“

„Mit unserer Studie, die erstmals eine so große Kohorte von Teilnehmer:innen aus der Altersgruppe der Über-65-Jährigen umfasste, konnten wir wichtige Einblicke in Ausbildung der Impfantwort nach einer Grippeimpfung bei Älteren geben“, sagt Li. „Wir konnten Schlüsselmoleküle für gute bzw. schlechte Immunantworten identifizieren, anhand derer weiter geforscht werden kann. Wir hoffen, dass unsere Forschungsergebnisse dazu beitragen können, die Immunantwort von Grippeimpfungen bei Älteren künftig weiter zu erhöhen.“

Die Studie entstand in Kooperation mit der MHH und dem TWINCORE, Zentrum für Experimentelle und Klinische Infektionsforschung, einer gemeinsamen Einrichtung des HZI und der MHH, und der Universität Lissabon, Portugal. Die Forschungsarbeit wurde durch den ERC Starting Grant ModVaccine (948207) gefördert, der Yang Li verliehen wurde.

Text: Nicole Silbermann

Originalpublikation:

Saumya Kumar et al. Systemic dysregulation and molecular insights into poor influenza vaccine response in the aging population.Sci. Adv.10,eadq7006(2024).DOI:10.1126/sciadv.adq7006

Das Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung:

Wissenschaftler:innen am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) untersuchen in Braunschweig und an anderen Standorten in Deutschland bakterielle und virale Infektionen sowie die Abwehrmechanismen des Körpers. Sie verfügen über fundiertes Fachwissen in der Naturstoffforschung und deren Nutzung als wertvolle Quelle für neuartige Antiinfektiva. Als Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) betreibt das HZI translationale Forschung, um die Grundlagen für die Entwicklung neuartiger Therapien und Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten zu schaffen. www.helmholtz-hzi.de

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