Warum moderne Medikamente nicht die individuelle Diabetesberatung ersetzen
Therapie mit „Abnehmspritzen“ alleine reicht nicht
Berlin – GLP-1-Rezeptor-Agonisten (GLP-1-RA), bekannt als sogenannte „Abnehmspritzen“, helfen schätzungsweise bis zu 850 000 Menschen mit Diabetes Typ 2 in Deutschland, ihr Gewicht zu reduzieren und den Blutzucker besser zu kontrollieren. Doch trotz ihres Rufes als Wundermittel ist eine individuelle Diabetesberatung nach wie vor unverzichtbar, betont der Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD). Nur allein mit Medikamenten lassen sich ein Diabetes Typ 2 und mögliche Folgeerkrankungen nicht ausreichend und nachhaltig behandeln. Hierfür sei eine strukturierte Versorgung sinnvoll, die auch Aspekte wie Bewegung und Ernährung beinhaltet.
GLP-1-RA, die als Spritzen verabreicht werden, unterstützen den Körper dabei, den Blutzuckerspiegel zu regulieren und gleichzeitig den Appetit zu zügeln. „Diese Medikamente wirken nicht nur auf den Zuckerstoffwechsel, sondern auch auf das Gewicht und bewirken eine Reduktion von kardiovaskulären Komplikationen bei Menschen mit Diabetes Typ 2“, erklärt Professorin Dr. med. Julia Szendrödi, Ärztliche Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie, Stoffwechselkrankheiten und Klinische Chemie an der Universitätsklinik Heidelberg. Dennoch habe diese Therapie ihre Grenzen, betont sie. Ohne eine Lebensstilanpassung, wie Ernährungsumstellungen und Bewegung, könne das volle Potenzial der Medikamente nicht ausgeschöpft werden.
Ganzheitlichen Betreuung bei Diabetes notwendig
Eine erfolgreiche Diabetesbehandlung setzt weit mehr voraus als die reine Einnahme von Medikamenten. Untersuchungen zeigen, dass Patientinnen und Patienten, die zusätzlich zur medikamentösen Therapie eine intensive Schulung und Beratung durch Diabetesberaterinnen und -berater erhalten, langfristig bessere Behandlungserfolge erzielen.(1) „Wir dürfen nicht vergessen, dass Diabetes eine komplexe Krankheit ist, die den ganzen Körper betrifft. Eine regelmäßige Kontrolle und individuelle Anpassung der Behandlung sind deshalb entscheidend“, sagt VDBD-Vorstandsmitglied Dr. rer. med. Lars Hecht aus Oldenburg. Auch auf psychosoziale Faktoren, wie Stress oder der Zugang zu gesunden Lebensmitteln, müsse in der Behandlung eingegangen werden.
Besonders wichtig sei es, die Patientinnen und Patienten im Blick zu behalten, wenn sie eine Kombination aus Medikamenten zu sich nehmen. Werden GLP-1-RA beispielsweise mit Insulin kombiniert, muss die Therapie angepasst werden um Unterzuckerungen zu vermeiden. Zudem müssen weiterhin regelmäßige Untersuchungen zur Überwachung von Blutdruck, Cholesterin und Nierenfunktion stattfinden. „Nur so können kardiovaskuläre Komplikationen, die bei Menschen mit Diabetes häufig auftreten, verhindert werden“, erläutert Szendrödi.
Therapietreue ist entscheidend – viele brechen ab
Die Diabetologin betont, dass viele Menschen die medikamentöse Behandlung mit GLP-1-RA nach wenigen Monaten abbrechen. „Die Gründe dafür sind vielfältig – vermutlich spielt eine überhöhte Erwartung an die Effekte eine Rolle – insbesondere den Gewichtsverlust – oder dass für sie unerwartete Nebenwirkungen eintreten. Therapietreue ist hier entscheidend: Die besten Medikamente nützen nichts, wenn die Patientinnen und Patienten sie nicht konsequent einnehmen“, erklärt Szendrödi. „Deshalb ist es wichtig, sie eng zu begleiten, ihre Erwartungen realistisch zu gestalten und ihnen zu helfen, mögliche Nebenwirkungen besser zu verstehen.“ Menschen, die gut in die Therapie eingebunden sind, leiden weniger häufig an Folgeerkrankungen und müssen seltener ins Krankenhaus.
Therapieerfolg durch Kombination aus Medikamenten und Beratung
GLP-1-Rezeptor-Agonisten bieten große Chancen bei der Behandlung von Diabetes, doch sie sind kein Ersatz für eine umfassende Beratung und Betreuung. Hecht fasst zusammen: „Die Abnehmspritze ist ein wichtiger Fortschritt, aber sie ersetzt nicht die individuelle Beratung. Wir müssen den Menschen helfen, ihre Krankheit zu verstehen und ihnen zeigen, wie sie mit Diabetes gut leben können – nur so lässt sich die Therapie langfristig erfolgreich gestalten.“ Dabei helfen strukturierte Schulungen durch Diabetesberaterinnen und -berater, die auch eine gemeinsame Entscheidungsfindung und das Umfeld der Patientinnen und Patienten berücksichtigen.
Literatur
1. National Standards for Diabetes Self-Management Education and Support: American Diabetes Association (ADA). 2022 Standards of Medical Care in Diabetes. Diabetes Care. 2022;45(Supplement 1), DOI: 10.2337/dc22-Sint.
Impact of Diabetes Education and Self-Management: Chatterjee, S., Khunti, K., & Davies, M. J. (2018). Type 2 diabetes management and the role of diabetes education in improving health outcomes. Diabetes Therapy, 9(2), 491-503. DOI: 10.1007/s13300-018-0328-3.
Über den Verband der Diabetes-Beratungs- und Schulungsberufe in Deutschland e. V. (VDBD):
Als Verband der Diabetesberatungs- und Schulungskräfte VDBD stärken wir das Berufsbild der Diabetesfachkräfte im Gesundheitswesen und vertreten die Interessen unserer Mitglieder. Evidenzbasierte Diabetesschulung und -beratung hat zum Ziel, Menschen mit Diabetes zu befähigen, ihr Leben selbstbestimmt zu gestalten und ihre Lebensqualität nachhaltig zu verbessern. Dabei unterstützen und begleiten Diabetesfachkräfte sie aktiv, alltagstaugliche Lösungen zu finden, ihre Gesundheitskompetenz zu stärken und ihr Selbstmanagement der chronischen Erkrankung zu optimieren.
Foto: Pexels/ Nataliya Vaitkevich