In einer Übersichtsarbeit im Nature Reviews haben Wissenschaftler aus Würzburg, Essen und Mainz Therapien bei Angina Pectoris unter die Lupe genommen

Etwa fünfeinhalb Millionen Menschen leiden hierzulande an der Koronaren Herzkrankheit, kurz KHK. Durch die Verengung der Herzkranzgefäße kommt es zu Durchblutungsstörungen, der Herzmuskel wird nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt. Die Folge: Brustenge und brennende Schmerzen, vor allem bei Belastung – Angina Pectoris. Christoph Maack, Sprecher des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz Würzburg (DZHI), hat gemeinsam mit dem Mediziner Edoardo Bertero, dem Pathophysiologen Gerd Heusch vom Uniklinikum Essen und dem Kardiologen Thomas Münzel von der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz die derzeitigen medikamentösen Angina-Therapien unter die Lupe genommen. Ergebnis: Kein Medikament verlängert das Leben, und keines ist dem anderen wirklich überlegen. Wer jedoch Medikamente personalisiert verschreibt, der kann zumindest die Lebensqualität seiner Patienten deutlich verbessern. Mit dem von den Kardiologen und Wissenschaftlern entwickelten Kompass hat nun jeder Arzt eine schnelle Entscheidungshilfe an der Hand, Details zu den Mechanismen können Interessierte in der Fachzeitschrift Nature Reviews Cardiology nachlesen.

Klassische Medikamente gegen den Brustschmerz sind Betablocker, Kalziumantagonisten und Nitrate. Sie verringern den Sauerstoffverbrauch des Herzens, erweitern die Gefäße und verbessern so die Durchblutung des Herzmuskels. Zur neuen Medikamentengeneration gehören Wirkstoffe wie Ranolazin, Trimetazidin und Ivabradin. Während Ivabradin die Herzfrequenz verlangsamt, greifen Ranolazin und Trimetazidin in den Stoffwechsel des Herzens ein.

Personalisierte Medizin bei Angina Pectoris

Die Palette der pharmazeutischen Behandlungsmöglichkeiten bei Angina Pectoris wächst. Doch es gibt bislang für kein Medikament den Nachweis, dass es die Prognose verbessert. Für die klassischen Medikamente fehlen die großen Studien, für die neuen Wirkstoffe haben die Studien Sicherheit, aber keine Evidenz für eine Lebensverlängerung erbracht. Kein Medikament ist deutlich besser als das andere. „Es sei denn, man nimmt die Auslöser der Erkrankung und die Pathophysiologie bei jedem einzelnen Patienten als Entscheidungsgrundlage für die Behandlung“, bemerkt Christoph Maack, Leiter der Translationalen Forschung am DZHI.

Nachdem die European Society of Cardiology (ESC) bei der Überarbeitung der Leitlinien im Jahr 2019 die Empfehlung aufgenommen hat, die antianginöse medikamentöse Behandlung zu personalisieren, hat Christoph Maack gemeinsam mit Edoardo Bertero, Gerd Heusch und Thomas Münzel die Studienlage geprüft und einen Kompass für die Behandlung von Patienten mit chronischem Koronarsyndrom mit und ohne Herzinsuffizienz erstellt.

Wichtige Parameter des Kompasses sind Blutdruck und Herzfrequenz. Hier sind nicht nur die hohen Werte relevant, sondern auch die normalen und niedrigen. Die Kombination sei entscheidend, so Maack. Ist der Blutdruck höher als 140 zu 80 mmHg, und liegt die Herzfrequenz über 70 Schlägen pro Minute, werden zum Beispiel Betablocker und Nitrate empfohlen, bei reduzierter Herzleistung kann neben Betablockern auch Ivabradin gegeben werden, bei erhaltenem Auswurf sind Kalziumantagonisten ratsam. Bei niedrigem Puls und Blutdruck bietet sich die Einnahme von Ranolazin und Trimetazidin an.

Gesunder Lebensstil, Statine und Ranolazin bei Diabetes

Das Herz verstoffwechselt 70 bis 80 Prozent Fettsäuren und 10 bis 20 Prozent Zucker. Bei der Metabolisierung der Glukose benötigen die Mitochondrien, die Kraftwerke unserer Zellen, allerdings weniger Sauerstoff für die Energiegewinnung als bei der Verarbeitung von Fettsäuren. Die Wirkstoffe Ranolazin und Trimetazidin blockieren die Fettsäureverstoffwechselung. Das Herz ist flexibel und schaltet automatisch auf Glukose um. Ranolazin reduziert darüber hinaus den Natriumeinstrom in den Zellen, was wiederum günstig in den Kalziumhaushalt eingreift. Durch die Reduzierung des Kalziums entspannen sich die Herzmuskelzellen, die Durchblutung bessert sich.

Bei Diabetes ist die Gabe von Ranolazin besonders wirksam, da durch die verbesserte Aufnahme von Zucker in die Zellen die Blutzuckerspiegel abnehmen. Ferner, und das ist gut belegt, hilft ein gesunder Lebensstil. Dazu gehören Nikotinverzicht, gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und das Erlangen sowie Halten des Normalgewichts. Auch Statine sind Teil des Behandlungsplans bei Diabetikern, da sie ein höheres Risiko für Ereignisse wie zum Beispiel Infarkte haben. Die Statine senken das Cholesterin, stabilisieren die Gefäßinnenschicht und schützen so vor einem Infarkt, der oft durch akutes Aufreißen der Gefäßinnenschicht verursacht wird.

Positiver Stress fürs Herz – Schutz durch Präkonditionierung

Ob das Aufdehnen eines verengten Herzkranzgefäßes mittels Katheter und die Implantation eines Stents ratsam sind, sollte den Autoren zufolge ebenfalls individuell entschieden werden. „Bei der KHK in stabiler Situation bringt die Katheterbehandlung zwar meist eine Verbesserung der Symptome, verlängert aber auch nicht das Überleben“, so Maack. Somit könnte ein personalisierter Medikamentenplan oft eine sinnvolle Alternative zum Katheter sein. Medikamente könnten dem Muskel helfen, mit der Engstelle umzugehen. „Ein bisschen Stress kann dem Herzen auch guttun“, schildert Maack die so genannte Präkonditionierung. „Das Herz aktiviert molekulare Selbst- Schutzmechanismen und optimiert seinen Stoffwechsel, sodass es resistenter gegen Sauerstoffmangel wird.“

Publikation: Edoardo Bertero, Gerd Heusch, Thomas Münzel, Christoph Maack. A pathophysiological compass to personalize antianginal drug treatment. Nat Rev Cardiol (2021). doi.org/10.1038/s41569-021-00573-w

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