Wider die Einsamkeit
Die Pandemie hat die Zahl sich einsam fühlender Menschen erhöht. Wann und wie Einsamkeit die Gesundheit gefährdet, erklärt die Psychologin Noëmi Seewer im Interview. Sie erforscht, wie ein Selbsthilfeprogramm der Universität Bern Betroffenen via Internet helfen kann, den Teufelskreis der Einsamkeit zu durchbrechen.
Gibt es gute und schlechte Einsamkeit?
Einsamkeitsgefühle sind nicht per se negativ. Aus evolutionärer Sicht stellen Einsamkeitsgefühle ein wichtiges Warnsignal dar, wenn das Bedürfnis nach Zugehörigkeit nicht befriedigt ist. Sie können als «sozialer Durst» verstanden werden. Sie können Menschen signalisieren, dass ihr Bedürfnis nach sozialen Beziehungen nicht befriedigt ist und sie motivieren, Kontakte zu anderen Menschen zu vertiefen oder neue Kontakte zu knüpfen. Gelingt dies, so hat das Gefühl seine Signalfunktion erfüllt und schwächt sich ab. Handkehrum können Einsamkeitsgefühle, wenn sie über längere Zeit hinweg bestehen, die Wahrnehmung und das Verhalten in sozialen Situationen verändern. Daraus kann sich ein sich selbst aufrechterhaltender Teufelskreis entwickeln und ein hoher Leidensdruck bei Betroffenen entstehen.
Welche Bedeutung hat Einsamkeit für die Gesundheit?
Einsamkeit wurde in vielen Studien mit schlechter Gesundheit und reduziertem Wohlbefinden in Zusammenhang gebracht. Verschiedene Studien weisen auf Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und verschiedenen psychischen Erkrankungen hin, vor allem mit Depressionen und sozialen Angststörungen. Die Beziehung zwischen Einsamkeit und psychischen Erkrankungen ist häufig wechselseitig, das heisst: Einsamkeit kann sowohl Auslöser als auch Folge von psychischen Erkrankungen sein.
Einsamkeit ist aber nicht nur für die psychische Gesundheit bedeutsam, sondern auch für die körperliche Gesundheit. So zeigt sich, dass überdauernde Einsamkeit zum Beispiel mit schlechter Schlafqualität, beschleunigtem geistigen Abbau, einer beeinträchtigten Immunreaktion und weiteren physischen Folgen zusammenhängt. Sie ist auch ein Risikofaktor für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Welche Personen sind besonders stark oder besonders häufig von Einsamkeit betroffen?
Die Ursachen von Einsamkeit sind sehr vielfältig und entsprechend stark unterscheiden sich auch die von ihr betroffenen Menschen voneinander. Fälschlicherweise wird oft angenommen, dass sich hauptsächlich ältere Menschen einsam fühlen. Wissenschaftlich lässt sich aber zwischen Einsamkeit und steigendem Lebensalter kein so einfacher Zusammenhang erkennen. Eine repräsentative Studie in Deutschland hat erhöhte Einsamkeitswerte im Alter um 30 Jahre und um 50 Jahre ermittelt, ausserdem im hohen Alter ab ungefähr 80 Jahren. Zusätzlich weisen aber auch Personen ohne Arbeit, Alleinlebende, Menschen ohne Partner oder Menschen mit physischen oder psychischen Erkrankungen erhöhte Einsamkeitswerte auf.
Hat die Pandemie die Zahl sich einsam fühlender Menschen erhöht?
In einer deutschen Studie gaben im Jahr 2019 rund 10 Prozent der Befragten an, sich mehrfach pro Woche oder täglich einsam zu fühlen. Nach Pandemie-Beginn im Jahr 2020 belief sich dieser Anteil auf etwa 26 Prozent. Das ist eine doch deutliche Zunahme.
Zudem fühlte sich ein Drittel der Befragten seit Pandemie-Beginn einsamer als zuvor – vor allem die jüngeren unter ihnen. Eine in der Schweiz durchgeführte Studie ermittelte einen Anstieg von Einsamkeitsgefühlen bei über 65-Jährigen ab Pandemie-Beginn. Ein Rückgang folgte, nachdem die Massnahmen gegen das Coronavirus gelockert worden waren. Verlässliche Aussagen, ob die Zunahme von Einsamkeit ein vorübergehender Trend ist oder Einsamkeitsgefühle bestehen bleiben, wären verfrüht.
Wichtig ist, dass anhaltende Einsamkeitsgefühle für Betroffene schon vor der Pandemie eine Belastung darstellten und das Phänomen nicht neu ist. Zu hoffen ist, dass die erhöhte mediale Präsenz des Themas dessen Enttabuisierung fördert und sich Betroffene eher Unterstützung suchen und auch auf anderen Ebenen Massnahmen getroffen werden, um dem Problem entgegenzuwirken.
Wie möchten Sie einsamen Menschen mit dem Selbsthilfeprogramm SOLUS helfen?
Mithilfe des Selbsthilfeprogramms SOLUS versuchen wir, Betroffene dabei zu unterstützen, sich ihrem persönlichen Teufelskreis, der Einsamkeit aufrechterhält, bewusst zu werden und ihn zu durchbrechen. Der Teufelskreis zeigt auf, wie Gefühle, Gedanken und Verhalten miteinander verbunden sind. Das kann dabei helfen zu verstehen, wie anhaltende Einsamkeitsgefühle entstehen und aufrechterhalten werden.
Das Wahrnehmen und Annehmen der Einsamkeitsgefühle ist eine wichtige Komponente des Programmes. Zudem hindern oft negative Gedanken über sich selbst, andere oder soziale Interaktionen einsame Menschen daran, soziale Situationen als befriedigend wahrzunehmen. Oder sie bleiben diesen ganz fern. Verschiedene Übungen im Programm zielen auf das Identifizieren, Überprüfen und Revidieren dieser Gedanken ab. Mit dem Ziel, dass soziale Situationen nicht mehr vermieden werden oder als befriedigender wahrgenommen werden können. Zudem werden wichtige soziale Skills vermittelt und das Aufbauen von Aktivitäten gefördert, die dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Verbundenheit zuträglich sind.
Wäre gerade einsamen Menschen nicht besser mit einer klassischen Face-to-Face-Therapie (FtF) geholfen, in der sie eine persönliche Beziehung zu einer psychologischen Fachperson aufbauen können?
Unser Verständnis von Therapie ist, dass sie immer auch Hilfe zur Selbsthilfe darstellen soll. Das heisst, dass betroffene Personen in einer Therapie Mittel erhalten sollten, die ihnen helfen können, auch nach einer Therapie und unabhängig von einer Fachperson einen besseren Umgang mit ihren Problemen zu bekommen. Erste Studien zu internetbasierten Interventionen zeigen, dass diese bei Einsamkeit effektiv sind und Betroffene davon profitieren können. Was aber nicht heisst, dass alle Betroffenen davon gleichermassen profitieren. Für einige ist sicher eine klassische FtF-Therapie die bessere Wahl. Unsere Studie soll auch mehr Erkenntnisse darüber liefern, wer von einer internetbasierten Intervention bei überdauernder Einsamkeit profitieren kann und wer nicht.
Da Einsamkeit ein stark stigmatisiertes Phänomen ist, stellen internetbasierte Interventionen eine niedrigschwellige Möglichkeit dar, Betroffene zu erreichen, die aufgrund von Schamgefühlen oder anderen einschränkenden Faktoren keine herkömmliche Unterstützung aufsuchen.
Und wie können Sie einsame Menschen erreichen?
Man sieht es einer Person nicht an, ob sie sich einsam fühlt. Darum machen wir über Zeitungsartikel auf unsere SOLUS -Studie aufmerksam, und natürlich auch über verschiedene soziale Medien, Beiträge in Newslettern oder Internetforen, weil für das Selbsthilfeprogramm ja eine Internetverbindung nötig ist.
Einsamkeit beschreibt einen Mangel an sozialer Verbundenheit. Es ist ein unangenehmes Gefühl, das entsteht, wenn ein Mensch ein Missverhältnis zwischen seinen aktuellen und gewünschten sozialen Beziehungen wahrnimmt. Dieses Missverhältnis kann sich sowohl auf die Anzahl sozialer Beziehungen beziehen als auch auf deren Qualität.
Wichtig ist, Einsamkeit von Alleinsein und objektiver sozialer Isolation abzugrenzen. Soziale Isolation beschreibt einen objektiven Mangel an sozialen Kontakten, Alleinsein einen objektiven Zustand von alleine verbrachter Zeit. Im Gegensatz dazu ist Einsamkeit ein subjektives Gefühl und von aussen nicht erkennbar. Abhängig von den individuellen Bedürfnissen kann eine Person alleine sein und sich nicht einsam fühlen und eine andere Person, trotz objektiv vorhandenen Beziehungen, Einsamkeitsgefühle empfinden.
SOLUS ist ein in Schweden entwickeltes internetbasiertes Selbsthilfeprogramm gegen Einsamkeitsgefühle, das auf Prinzipien der kognitiven Verhaltenstherapie gründet und an der Universität Bern um verschiedene Aspekte erweitert wurde. Das SOLUS-Programm richtet sich an Personen, die unter Einsamkeitsgefühlen leiden und sich damit auseinandersetzen wollen.
Das Programm ist text-, video- und audiobasiert und besteht aus 9 Modulen. Jedes Modul greift einen spezifischen Themenschwerpunkt im Zusammenhang mit Einsamkeit auf. Anleitungen zu praktischen Übungen dienen dem Transfer der Theorie in den Alltag. Es wird empfohlen, pro Woche ein Modul zu bearbeiten. Das Bearbeiten eines Moduls dauert ca. 30 Minuten. Der Rest der Woche kann für das Umsetzen der Übungen genutzt werden.
Eine deutschsprachige Version des Programms wird an der Universität Bern von PD Dr. Tobias Krieger und seinem Team in einer vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) finanzierten, randomisiert-kontrollierten Studie auf ihre Effektivität untersucht. Es werden noch Studienteilnehmer:innen gesucht. Mehr Informationen zur Studie unter:
ZUR PERSON
Noëmi Seewer, M. Sc., ist Psychologin, wissenschaftliche Assistentin und Doktorandin in der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie am Institut für Psychologie der Universität Bern. Im Rahmen ihrer Masterarbeit hat sie das internetbasierte Selbsthilfeprogramm SOLUS ins Deutsche übersetzt und in einer Pilotstudie erste Hinweise zur Wirksamkeit, Anwendbarkeit und Nutzerfreundlichkeit gesammelt.
Fotoa: Pexels/ Alex Green