Wiederkehrende Lockdowns nicht notwendig für die Pandemiebekämpfung
Eine neue Studie in Science Advances analysiert die Eindämmung von Ausbrüchen von Infektionskrankheiten. Dort wird gezeigt, dass wiederkehrende strikte Lockdowns für die langfristige Kontrolle von Pandemien nicht notwendig sind – solange moderate Vorsichtsmaßnahmen beibehalten werden. Die Forscher des Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation (MPIDS) untersuchten dabei, welche Maßnahmen unter welchen Bedingungen erforderlich sind, um solche strikten Lockdowns zu vermeiden. Sie kommen zu dem Schluss, dass das individuelle Verhalten letztlich darüber entscheidet, ob die Kontrolle über eine Pandemie aufrechterhalten werden kann.
Sebastian Contreras vom MPIDS untersuchte zusammen mit seinen Kollegen die Kontrolle der Krankheitsausbreitung durch sogenannte nicht-pharmazeutische Interventionen. Dazu gehören sowohl vorgeschriebene staatliche Maßnahmen als auch freiwillige Verhaltensanpassungen wie körperliche Distanzierung, Alltagsgewohnheiten und Gesichtsmasken. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass bei niedrigen Fallzahlen die Freiheit maximiert wird, ohne dass Lockdowns erforderlich sind. Ein entscheidender Faktor für die Aufrechterhaltung dieser Freiheit ist jedoch die Beibehaltung eines schnellen und effizienten „Test-Trace-and-Isolate“-Systems – also das Testen gefolgt von Kontaktnachverfolgung und Quarantäne bei Infektion.
Das Test-Trace-and-Isolate-System hat sich bei der Unterbrechung von Infektionsketten als sehr wirksam erwiesen
Während der COVID-19-Pandemie hat das Test-Trace-and-Isolate-Verfahren erheblich dazu beigetragen, die Ausbreitung der Krankheit einzudämmen: Indem die engen Kontakte der infizierten Personen verfolgt werden, können Infektionsketten unterbrochen werden. Dieser Ansatz ist jedoch nur dann wirksam, wenn er rechtzeitig erfolgt und wenn die Fallzahlen innerhalb der begrenzten Rückverfolgungskapazität der Gesundheitsbehörden liegen. Die Forscher fanden heraus, dass die COVID-19-Inzidenz durch Tests und Kontaktaufnahme auf niedrigem Niveau stabilisiert werden kann und weniger Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung erforderlich sind. Diese Stabilität hängt jedoch von den vorhandenen (freiwilligen und staatlichen) Maßnahmen und den Kapazitäten der Gesundheitsbehörden zur Ermittlung von Kontakten ab; es ist eine Frage des Gleichgewichts, wie auch in Abbildung 1 dargestellt.
„In Analogie dazu ähnelt das System der Kontaktnachverfolgung und Isolierung zum Stoppen der Infektionsketten, den Feuerwehrleuten, die Waldbrände bekämpfen können: In beiden Fällen ist es viel einfacher, die Ausbrüche lokal einzudämmen, solange sie noch klein sind. Ist der Ausbruch erst einmal außer Kontrolle geraten, wird diese Strategie zu langsam und unspezifisch; man muss wieder starke bevölkerungsweite Maßnahmen ergreifen und parallel dazu versuchen, die gefährdeten Personen zu schützen“, sagt Viola Priesemann, die die Studie koordiniert hat. „Impfungen und andere freiwillige Maßnahmen zur Verhinderung von Ansteckung werden die Kontrolle weiter erleichtern und wirken wie ein sehr bequemer Regen in unserer Analogie zum Feuer“, fügt Sebastian Contreras hinzu.
Das Modell bestätigt die pandemische Entwicklung in der jüngsten Vergangenheit
Neben dem neuen mathematischen Ansatz, der von den Forschern erarbeitet wurde, gibt es auch Beispiele aus der Vergangenheit nach der COVID-19-Winterwelle im Jahr 2020, welche die Erkenntnisse aus dem Modell bestätigen (siehe Abbildung 2). Das Modell behandelt jedoch Pandemien im Allgemeinen und ist somit auch auf andere Infektionskrankheiten über die COVID-19-Pandemie hinaus anwendbar. Die Ergebnisse der Studie ermöglichen es daher den politischen Entscheidungsträgern, wirksame Reaktionsstrategien für die Zukunft zu planen. Als nächsten Schritt ihrer Forschung wollen die Wissenschaftler*innen die Faktoren analysieren, die für die Einhaltung der Maßnahmen verantwortlich sind, indem sie das Zusammenspiel zwischen der Verbreitung von Krankheiten und Informationen untersuchen.
Originalpublikation:
https://www.science.org/doi/10.1126/sciadv.abg2243
Foto: Pexels/ Julia M Cameron