Aktuelle Diskussion zur Langzeitsicherheit der Migräneprophylaxe – Teil 1: CGRP im Verdauungstrakt
Im letzten Jahrzehnt demonstrierten klinische Studien die Wirksamkeit neuer Medikamente zur präventiven Behandlung der Migräne, der Antikörper gegen CGRP, und veränderten damit die Prophylaxe der Migräne grundlegend. Wissenschaftler argumentieren nun jedoch, dass es nicht bei den Studien zur kurzfristigen Sicherheit der Medikamente bleiben darf, da CGRP verschiedene wichtige Rollen im Körper übernimmt und ein dauerhafter Block daher mit Risiken bei längerer Behandlung einhergehen könnte. Wir fassen die aktuelle Diskussion und Vorschläge der Forscher zusammen. Teil 1: Die gastrointestinale Rolle von CGRP.
Im letzten Jahrzehnt demonstrierten klinische Studien die Wirksamkeit neuer Medikamente zur präventiven Behandlung der Migräne. Ziel der Medikamentenentwicklung waren drei Aspekte: Diese Mittel sollten das Eiweiß CGRP oder seinen Rezeptor blockieren, besser verträglich sein als bislang eingesetzte Prophylaktika und/oder wirksamer und sicherer als andere Behandlungen sein. Die neuen monoklonalen Antikörper gegen Migräne sind inzwischen in vielen Ländern zugelassen und im Einsatz und stellen ohne Zweifel einen Meilenstein in der Migränetherapie dar.
Meilenstein der Migränetherapie: Prophylaxe mit CGRP-Antikörpern
Mehrere Wissenschaftler argumentieren nun allerdings unabhängig voneinander, dass diese Studien auf die kurzfristige Sicherheit der Anwendung beschränkt waren und verschiedene Risiken bei längerer Behandlung nicht ausgeschlossen werden können. Im Zulassungsprozess der europäischen Arzneimittelbehörde EMA wurde auf den Mangel an präklinischen Daten verwiesen, da kein Tiermodell für Migräne existiert. Somit ist auch die präklinische Datenlage zur Sicherheit recht begrenzt. Die Forscher beschreiben, welche Funktionen CGRP im Körper übernimmt und welche Probleme ein Block dieser Funktion mit sich bringen könnte. Sie bieten allerdings auch eine Perspektive zu Vorsichtsmaßnahmen in Migränetherapie an, um Betroffenen die Linderung mit größerer Sicherheit zu ermöglichen.
Welche Risiken birgt das Blockieren von CGRP – und wie könnte man die Risiken umschiffen?
CGRP nimmt eine Reihe wichtiger Rollen im Körper ein. Von der Migränetherapie ist bekannt, dass es die Erweiterung von Gefäßen bewirkt. Damit ist CGRP nicht nur ein Kopfschmerz-Problem, sondern auch eine wichtige Substanz bei der Homöostase in gastrointestinalen und kardiovaskulären Systemen. Zusätzlich ist CGRP allerdings auch ein Akteur im Immunsystem, wie neuere Untersuchungen zeigen. Wir fassen in einer Artikelserie mehrere Analysen zu diesen Fragen und Organsystemen zusammen und berichten in diesem Text zur gastrointestinalen Rolle von CGRP.
CGRP-Block kann gastrointestinale Effekte haben
Haanes et al. schrieben in einem Brief an das Journal of Headache and Pain (2020), dass, obwohl die klinischen Studien mit Anti-CGRP-Therapie erstaunlich wenige Nebenwirkungen berichten konnten, gastrointestinale Störungen zu den häufigsten adversen Ereignissen im offiziellen Berichtssystem der FDA gehörten (17 % von über 24 000 Berichten, Dez. 2019). Konstipation scheint eine signifikante Anti-CGRP-Nebenwirkung zu sein, wie sich auch im Rahmen klinischer Studien zeigte. Dies könnte verstärkt bei Patienten auftreten, die zusätzlich auch andere Medikationen nehmen, die das gastrointestinale System beeinflussen.
CGRP selbst kann unter anderem die Darmbewegung beschleunigen (Migräne-CGRP bringt auch die Verdauung durcheinander). Manche Effekte auf die Verdauung scheinen mit GLP-1 (Glucagon-like peptide-1) zusammenzuhängen, dessen Freisetzung durch CGRP ausgelöst wird. GLP-1 begegnet einem häufiger beim Thema Diabetes: Es triggert eine Glukose-abhängige Abgabe von Insulin, dämpft indirekt die Freisetzung von Glukose aus der Leber und steigert das Sättigungsgefühl.
CGRP und GLP-1: Indirekte Effekte der Migränetherapie auf den Glukosestoffwechsel?
Reduzierte Konzentrationen von GLP-1 könnten eine Folge einer Anti-CGRP-Therapie sein und, schreiben Haanes und Kollegen, auch hinter den in klinischen Studien gesehenen Nebenwirkungen wie Konstipation stecken. Gleichzeitig stellt sich allerdings mit dem möglichen Problem auch eine mögliche pharmakologische Intervention dar, die entsprechende Symptome lindern könnte: Eine Supplementierung könnte vermutlich lokal im Verdauungstrakt helfen, ohne nachteilig auf die Migränelinderung zu wirken.
Vorschlag der Forscher: GLP-1-Konzentration und -Supplementierung bei Antikörper-Prophylaxe untersuchen
Die Autoren empfehlen, Konzentrationen von GLP-1 und seiner Folgeprodukte klinisch bei Patienten in Anti-CGRP-Therapie zu untersuchen. Schließlich könnte die langfristige Behandlung mit möglichen Effekten auf Glukose-Homöostase, Regulation der Nahrungsaufnahme und der Darmbewegung einhergehen. Diese Untersuchungen könnten auch aufzeigen, welche Untergruppe von Migränepatienten eventuell im Rahmen dieser Therapie von einer GLP-1-Supplementierung profitieren würde.
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Autor: Haanes, Kristian Agmund, Lars Edvinsson, and Anette Sams. “Understanding Side-Effects of Anti-CGRP and Anti-CGRP Receptor Antibodies.” The Journal of Headache and Pain 21, no. 1 (December 16, 2020): 26. https://doi.org/10.1186/s10194-020-01097-3.
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