Typischerweise erwachen Patienten aus einer starken Anästhesie nach wenigen Stunden. Bei Intensiv-Patienten mit schwerem COVID-19 wurden jedoch wiederholt Fälle von stark verzögertem Erwachen berichtet. Eine retrospektive Analyse fand Aufwachzeiten von mindestens 10 Tagen bei jedem 4. Patienten und eine Assoziation mit starkem Sauerstoffmangel. Analogien zu anderen Lebewesen deuten auf einen selbständigen Ruhemodus des Gehirns. Experten raten zu Geduld bei lange dauernden Aufwachphasen.

Erkranken Patienten nach einer Infektion mit dem neuen Coronavirus SARS-CoV-2 an schwerem COVID-19, kann es zu einer Intensiv-Behandlung kommen, bei der, beispielsweise bei starkem Sauerstoffmangel und notwendiger mechanischer Beatmung, auch eine Anästhesie nötig werden kann. Ist die Infektion erfolgreich bekämpft und eine Erholung des Patienten möglich, kann die Anästhesie gestoppt und die Aufwachphase eingeleitet werden. Typischerweise erwachen Patienten aus einer starken Anästhesie innerhalb eines Tages. Bei COVID-19-Patienten auf der Intensivstation wurden jedoch wiederholt Fälle von stark verzögertem Erwachen aus der Anästhesie berichtet. Die vorliegende Studie untersuchte nun, wie lange das Erwachen dauern kann und ob dies mit Sauerstoffmangel (Hypoxämie) in Zusammenhang steht.

Was führt zu stark verzögertem Erwachen bei schwerem COVID-19-Verlauf?

In dieser retrospektiven Multizentren-Kohortenstudie in der ersten Pandemiephase in den USA (März bis Juli 2020) ermittelten die Autoren die Zeit ab Intubierung bis zur Aufwachphase und Erholung der Fähigkeit, Befehlen zu folgen. Dazu werden Patienten beispielsweise aufgefordert, einen Finger zu heben oder mit einer vorgegebenen Häufigkeit zu zwinkern. Patienten wurden in die Analyse aufgenommen, wenn sie aufgrund von schwerem COVID-19 in eine von drei betrachteten Kliniken eingewiesen wurden, eine endotracheale Intubation für mindestens 7 Tage benötigten und eine Bewusstseinsstörung aufwiesen (Glasgow Coma Scale motor score < 6).

Retrospektive Kohortenstudie über hunderte COVID-19-Patienten

571 von 795 Patienten erholten sich so weit, dass sie wieder Befehlen folgen konnten. Die mittlere Zeit (Median) bis zu dieser Erholung betrug 30 Tage (95 % Konfidenzintervall, KI: 27 – 32 Tage). Die durchschnittliche (Median) Zeit bis zur Fähigkeit, Befehlen zu folgen, erhöhte sich um 16 Tage bei Patienten, bei denen mindestens einmal ein PaO2-Wert von unter 55 mmHg (Hypoxämie, p < 0,001) auftrat. 25 % kamen wieder zu Bewusstsein nach mindestens 10 Tagen nach Beendigung der mechanischen Beatmung. Die Dauer bis zu dieser Bewusstseins-Erholung war mit Hypoxämie assoziiert.

  • PaO2 ≤ 55 mmHg; Hazard Ratio, HR: 0,56; 95 % KI: 0,46 – 0,68
  • PaO2 ≤ 70 mmHg; HR: 0,88; 95 % KI: 0,85 – 0,91

Jeder zusätzliche Tag mit Hypoxämie reduzierte die Wahrscheinlichkeit für eine Erholung, selbst bei Berücksichtigung von weiteren relevanten Faktoren wie Sedierung. Diese Ergebnisse wurden bei Patienten bestätigt, bei denen bildgebende Verfahren keine Hinweise auf strukturelle Gehirnschädigungen aufzeigten (n = 199) sowie in einer weiteren Kohorte (zweite Pandemie-Welle) mit 427 Patienten zwischen Oktober 2020 und April 2021.

Verzögertes Wiedererlangen des Bewusstseins in Zusammenhang mit Sauerstoffmangel

Überlebende einer schweren COVID-19-Erkrankung erlangen demnach häufig erst Wochen nach Beendigung der mechanischen Beatmung ihr Bewusstsein wieder. Eine längere Dauer bis zur Erholung ist dabei mit zuvor stärker ausgeprägter Hypoxämie assoziiert. Dieser Zusammenhang ist nicht durch die medikamentöse Anästhesie oder mittels Bildgebung von nachweisbaren Gehirnschädigungen erklärbar. Ausgedehnte lebenserhaltende Maßnahmen können demnach bei schweren COVID-19-Verläufen auch nach der medizinischen Erholung nötig sein, so die Autoren.

Winterruhe beim Menschen?

Eine aktuelle Analyse verglich nun die Gehirnaktivität und Sauerstoffmangel-Situation in Zusammenhang mit den stark ausgedehnten Aufwachphasen mit vergleichbaren Situationen bei einer bestimmten Art von Schildkröten, die sich selbst in einen Energie-sparenden Ruhemodus versetzen. Die Situation nach COVID-19 mit starkem Sauerstoffmangel, in Kombination mit bestimmten Anästhetika, könnte zu einer ähnlichen selbst-induzierten und selbst-aufrechterhaltenen „Winterruhe” des menschlichen Gehirns führen. Nach Einschätzung von Experten spricht dafür auch die häufig folgenlose Erholung der langfristig bewusstlosen Patienten. Die Studie warnt daher davor, bei Patienten, die nach COVID-19 nicht im erwarteten Zeitfenster ihr Bewusstsein wiedererlangen, negative prognostische Schlüsse zu ziehen – auch diese Patienten können mit mehr Zeit wieder erwachen. Das neue Modell zur Erklärung der anhaltenden Bewusstlosigkeit deutet nun auf eine Reihe von Strategien, die womöglich zur Unterstützung des Erwachens dienen, aber auch zur gezielten Induktion einer solchen “Winterruhe” bei manchen Erkrankungen genutzt werden könnten. (Schiff & Brown, 2022 in PNAS erschienen).

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Autor: Waldrop G, Safavynia SA, Barra ME, Agarwal S, Berlin DA, Boehme AK, Brodie D, Choi JM, Doyle K, Fins JJ, Ganglberger W, Hoffman K, Mittel AM, Roh D, Mukerji SS, Der Nigoghossian C, Park S, Schenck EJ, Salazar-Schicchi J, Shen Q, Sholle E, Velazquez AG, Walline MC, Westover MB, Brown EN, Victor J, Edlow BL, Schiff ND, Claassen J. Prolonged Unconsciousness is Common in COVID-19 and Associated with Hypoxemia. Ann Neurol. 2022 Jun;91(6):740-755. doi: 10.1002/ana.26342. Epub 2022 Apr 21. PMID: 35254675; PMCID: PMC9082460.

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