Die von etwa Dezember bis April dominanten Omikron-Varianten BA.1 und BA.2 des SARS-CoV-2-Virus können bereits nach drei Monaten den Schutz vor einer Infektion unterlaufen, den Impfungen oder überstandene Infektionen bieten. Dies zeigt eine Studie aus Frankfurt unter Federführung des Universitätsklinikum Frankfurt und der Goethe-Universität. Außerdem wirken laut Studie verschiedene pharmazeutische Antikörperpräparate (monoklonale Antikörper) höchst unterschiedlich auf die beiden Virusvarianten. Die Studienautor:innen betonen daher, wie wichtig die Abstimmung von Schutzmaßnahmen auf die genetischen Veränderungen des Virus sind.

FRANKFURT. Die Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus wurde erstmals im November 2021 in Südafrika beschrieben. Die hohe Infektiosität des Virus und seine Fähigkeit, rasch weitere Varianten hervorzubringen, wurden auch in Deutschland sichtbar: Seit Januar 2022 herrschte hierzulande zunächst die Omikron-Variante BA.1 vor, zu der in den folgenden Monaten die Variante BA.2 hinzukam. Inzwischen ist das Virus weiter mutiert, und seit Juni haben die Varianten BA.4 und BA.5 ihre Vorgänger abgelöst.

Das Abwehrsystem des menschlichen Körpers stellt dies vor große Herausforderungen: Bei einer SARS-CoV-2-Infektion werden Antikörper gebildet, die an Oberflächenstrukturen des Virus binden und es auf diese Weise daran hindern, in menschliche Zellen einzudringen. Zentral ist hier das virale Spike-Protein. Genau dieses ist in den Omikron-Varianten an mehr als 50 Stellen gegenüber des ersten, in Wuhan identifizierten SARS-CoV-2-Virus verändert. Die Folge: Die nach einer Infektion oder einer Impfung gebildeten Antikörper erkennen die Varianten schlechter. Daher können sich Menschen trotz überstandener Infektion erneut mit einer neuen SARS-CoV-2-Variante anstecken, oder es kommt zu Impfdurchbrüchen. Wie gut die Immunitätsantwort auf eine Infektion ist, hängt allerdings nicht nur von den Antikörpern ab.

Frankfurter Forscher:innen um Dr. Marek Widera und Prof. Sandra Ciesek von Institut für Medizinische Virologie des Universitätsklinikum Frankfurt und der Goethe-Universität haben jetzt untersucht, wie lange die im Blut enthaltenen Antikörper nach einer Impfung oder überstandenen Erkrankung die Virusvarianten Omikron BA.1 und BA.2 noch neutralisieren konnten. Dazu sammelten sie Blutproben von zweifach und dreifach geimpften (geboosterten) Menschen, gaben den flüssigen Blutbestandteil (Blutserum), der Antikörper enthält, zusammen mit SARS-CoV-2-Viren auf kultivierte Zellen und beobachteten, wie viele der Zellen infiziert wurden. Außerdem bestimmten sie jeweils die Menge der Antikörper in den Proben, die das Spike-Protein erkannten.

Das Ergebnis: Ein halbes Jahr nach der zweiten Impfung hatten die getesteten Seren praktisch keine neutralisierende Wirkung mehr auf die Omikron-Varianten BA.1 und BA.2. Auch der Effekt der Booster-Impfung lies rasch nach: Zwar konnten die Seren kurz nach der Booster-Impfung noch sehr gut schützen, drei Monate später war die Schutzwirkung nur noch sehr schwach, sodass die Mehrheit der getesteten Seren nicht mehr in der Lage war, die beiden Virusvarianten zu neutralisieren. „Dies liegt daran, dass der Antikörpertiter im Serum – sozusagen die Menge der Antikörper – nach einer Impfung oder Infektion im Laufe der Zeit abnimmt“, erklärt Widera. „Weil die Antikörper neuere Virusvarianten deutlich schlechter erkennen, reicht ein niedrigerer Antikörperspiegel dann nicht mehr aus, um die Virusvarianten zu neutralisieren und eine Infektion der Zellen in Zellkultur zu verhindern. Die Daten aus dieser Studie lassen allerdings nur Rückschlusse auf die Ansteckungsgefahr zu und keine Aussage zum Schutz vor einem schweren Krankheitsverlauf.“ Denn ausschlaggebend für die Immunabwehr sei nicht nur der Antikörpertiter, sondern auch die zelluläre Immunantwort, die in dieser Studie jedoch nicht untersucht wurde.

Besonders problematisch seien die Ergebnisse für den Einsatz monoklonaler Antikörper, die zum Beispiel Patienten mit geschwächtem Immunsystem vorbeugend verabreicht werden, sagt Prof. Sandra Ciesek. Ciesek ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie des Universitätsklinikums Frankfurt und Letztautorin der Studie. Sie erklärt: „Wir haben beispielhaft drei solcher monoklonalen Antikörper im Labor untersucht und gesehen, dass sie ihre Wirksamkeit sehr stark von der Virusvariante abhängt. Damit wir vulnerable Patientinnen und Patienten mit solchen Präparaten schützen können, ist es daher dringend erforderlich auch am Patienten zu testen, inwieweit solche Antikörper aktuell verbreitete Virusvarianten neutralisieren können.“ In Deutschland seien zwar die in der Studie untersuchten Virusvarianten BA.1 und BA.2 mittlerweile nicht mehr dominant verbreitet, so die Virologin. „Unsere Studie zeigt jedoch, dass wir nicht darin nachlassen dürfen, unsere Schutzmaßnahmen an die genetischen Veränderungen des SARS-CoV-2-Virus anzupassen, derzeit also an die Omikron-Varianten BA.4 und BA.5.“

Originalpublikation:

Alexander Wilhelm, Marek Widera, Katharina Grikscheit, Tuna Toptan, Barbara Schenk, Christiane Pallas, Melinda Metzler, Niko Kohmer, Sebastian Hoehl, Rolf Marschalek, Eva Herrmann, Fabian A. Helfritz, Timo Wolf, Udo Goetsch, Sandra Ciesek: Limited Neutralisation of the SARS-CoV-2 Omicron Subvariants BA.1 and BA.2 by Convalescent and Vaccine Serum and monoclonal antibodies. eBioMedicine (2022) https://doi.org/10.1016/j.ebiom.2022.104158

Foto: Pexels / Karolina Grabowska