Aus Angst, sich auf dem Weg oder in der Zahnarztpraxis mit SARS-CoV-2 zu infizieren, sagen Patienten in der Pandemie überdurchschnittlich oft ihren Prophylaxe-Termin ab. Dabei ist eine intakte Mundhygiene, insbesondere für Parodontitis-Patienten, immens wichtig.

Wieso parodontale Entzündungen im Mundraum ein bis zu 8-fach höheres Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf verursachen können, erklärt Prof. Dr. Benjamin Ehmke, Direktor der Klinik für Parodontologie und Zahnerhaltung am UKM (Universitätsklinikum Münster).

Herr Prof. Ehmke, wie hängen Parodontitis, also eine Entzündung des Zahnbettes, und COVID-19-Infektionen zusammen?

Prof. Dr. Benjamin Ehmke: Die Eintrittspforte für das SARS-CoV-2-Virus ist neben der Nase auch die Mundhöhle. Genau in diesem Bereich bestehen bei Zahnfleischerkrankungen chronische Entzündungen. Gleichzeitig ist auch eine COVID-19-Infektion durch eine systemische Entzündung im Körper charakterisiert, sodass beide Prozesse gewisse Gemeinsamkeiten haben. Das wiederum kann Auswirkungen auf den Krankheitsverlauf bei COVID-19 haben.

Heißt das, dass Patienten mit Parodontitis ein höheres Risiko haben, schwer an COVID-19 zu erkranken?

Ehmke: Ja.In einer aktuellen, internationalen Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit Parodontitis, unabhängig von anderen Risikofaktoren wie Herzerkrankungen, Bluthochdruck oder Diabetes, ein bis zu 8-fach höheres Risiko haben, einen ungünstigen Verlauf der COVID-19-Infektion zu entwickeln. Das heißt, diese Patienten sind häufiger intensivpflichtig oder müssen beatmet werden.

Aber warum erkranken Parodontitis-Patienten leichter an COVID-19 bzw. haben häufiger schwere Komplikationen?

Ehmke: Da gibt es unterschiedliche Hypothesen. Ist das Zahnfleisch entzündet, könnte das Virus leichter in die Zellen eindringen. Andererseits können Bakterien, die eine Zahnfleischentzündung verursachen, einen Bakterienfilm auf Zahnfleisch und Zähnen bilden, an dem sich dann andere Bakterien festhalten können. So können sich Bakterien, die beispielsweise eine Lungenentzündung verursachen, in der Mundhöhle ansiedeln. Ist der Patient durch COVID-19 geschwächt, kann die bakterielle Lungenentzündung ausbrechen und zu einem schweren Infektionsverlauf und Komplikationen führen.

Was raten Sie derzeit Patienten, die unter Zahnfleischbluten, Zahnfleischrückgang oder Mundgeruch leiden oder bereits eine diagnostizierte Parodontitis haben?

Ehmke: Auf jeden Fall sollten sie trotz Pandemie ihren Zahnarzt aufsuchen und die regelmäßigen Termine zur Prophylaxe wahrnehmen. Bereits mit Parodontitis diagnostizierte Patienten sollten zudem alle drei bis vier Monate ihre Zähne professionell reinigen lassen. Gerade bei älteren Patienten konnte hierdurch gezeigt werden, dass das Auftreten von Lungenentzündungen geringer wird. Insofern ist für diese Patientengruppe die regelmäßige Nachsorgebehandlung beim Zahnarzt auch in Pandemie-Zeiten medizinisch sehr sinnvoll.

Was entgegnen Sie Skeptikern?

Ehmke: Alle Praxen verfügen über umfangreiche Hygienekonzepte, haben zusätzlich teilweise in Luftfilter investiert. Mundspülungen vor der Behandlung reduzieren wiederum die Viruslast im Rachenraum und schützen damit auch das Personal. Bei uns in der Zahnklinik hat es bisher keine bekannte Infektion zwischen Mitarbeitenden und Patienten gegeben. Deshalb sollte derzeit niemand den Weg zum Zahnarzt scheuen – insbesondere nicht bei bestehenden Problemen an Zahnfleisch oder Zähnen.

Haben Sie abschließend noch einen Tipp, was jeder Einzelne zuhause tun kann, um eine gute Mundhygiene zu fördern und Entzündungsherde zu verringern?

Ehmke: Kurz gesagt: Zweimal am Tag die Zähne putzen, abends auch die Zunge mit der Zahnbürste bürsten. Und idealerweise auch noch die Zahnzwischenräume jeden Tag mit Zahnseide oder Zahnzwischenraumbürsten reinigen. All das sorgt für eine gute Mundhygiene, verringert eine Zahnfleischentzündung und zerstört den gefährlichen Bakterienfilm auf den Zähnen.

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