Neue Nephrologie am Horizont: weniger Nierenversagen und Dialysen möglich
Zu den Game-Changern gehören auch die sogenannten Abnehmspritzen
In der Behandlung der chronischen Nierenkrankheit (CKD) zeichnet sich ein Paradigmenwechsel ab: weg von lediglich allgemeinen Behandlungsempfehlungen hin zu konkret wirksamen Therapiekonzepten. Denn neue Medikamente können das irreversible Nierenversagen, das am Ende der CKD steht, aufhalten. Zu den Game-Changern gehören auch die als Abnehmspritze und Diabetes-Therapeutikum bekannt gewordenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten wie der Wirkstoff Semaglutid. „Neue Nephrologie“ ist deshalb auch das Motto der 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e.V. (DGfN) vom 26. bis 29. September 2024 in Berlin. Die neuen Therapieoptionen der CKD, aber auch Fortschritte beim Verständnis der Krankheitsentstehung sowie Diagnostik sind ebenfalls Themen auf der hybriden Pressekonferenz am Freitag, 27. September 2024 von 11:45 bis 13:00 Uhr im ECC Berlin.
Bei der Volkskrankheit CKD, einschließlich der sogenannten Glomerulonephritiden, gilt es, den Verlust der Nierenfunktion aufzuhalten. Denn unbehandelt kann eine CKD in ein tödliches Nierenversagen münden. „Jahrzehntelang gab es hier keine substanziellen Fortschritte“, sagt Professor Dr. med. Martin Kuhlmann, Präsident der DGfN und Chefarzt der Klinik für Innere Medizin – Nephrologie, Vivantes Klinikum im Friedrichshain, Berlin. Zur Verfügung standen lediglich allgemeine Empfehlungen wie Nikotinverzicht, Ernährungstherapie, Gewichtsnormalisierung, Blutfettsenkung sowie Blutdrucktherapie. Zwar konnten sogenannte RAAS-Blocker (zum Beispiel ACE-Hemmer), Therapiestandard für mehr als 20 Jahre, ein Fortschreiten der CKD reduzieren. „Vielen Patienten haben sie aber nicht ausreichend geholfen, und der Schutz vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen war leider begrenzt“, sagt Kuhlmann.
Neue Therapieoptionen können Nierenversagen stoppen
„Doch neue Studien und die Einführung neuer medikamentöser Therapieoptionen haben die Welt der Nephrologie verändert“, so Kuhlmann. Zu diesen Medikamenten gehören etwa SGLT-2-Hemmer. Diese Substanzen wurden ursprünglich zur Therapie von Diabetes entwickelt. In Studien zeigte sich jedoch, dass sie auch positive Effekte auf Herz und Nieren haben und das Fortschreiten des Nierenfunktionsverlusts signifikant verlangsamen können. Ebenfalls wirksam bei der durch Diabetes ausgelösten CKD ist ein neuartiger, nicht-steroidaler, selektiver Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonist (Finerenon), wie die FIDELIO-Studie gezeigt hat (1).
„Abnehmspritzen“ haben auch auf die Nieren eine positive Wirkung
GLP-1-Rezeptor-Agonisten wurden zunächst zur Regulierung des Blutzuckerspiegels bei Menschen mit Typ-2-Diabetes eingesetzt. Später zeigten sich im Rahmen verschiedener klinischer Studien weitere positive Effekte auf die Gesundheit. Dazu gehört in erster Linie das Abnehmen: So können Menschen, die einen GLP-1- Rezeptor-Agonisten anwenden, etwa bis zu 17 Prozent ihres Gewichts verlieren. Durch den Gewichtsverlust sinkt auch das Risiko für die Folgeerkrankungen von Übergewicht wie Bluthochdruck und chronische Entzündungen. Bluthochdruck schädigt die sehr feinen Gefäße und weitere Filterstrukturen der Nieren. In der kürzlich publizierten FLOW-Studie (2) senkte der GLP-1-Agonist bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und CKD das Risiko für schwere Nierenkrankheiten und Tod durch Herz-Kreislauf-Komplikationen um 24 Prozent – unabhängig davon, ob bereits eine Therapie mit einem SGLT-2-Hemmer durchgeführt wurde. Die Studie zeigte auch, dass der Nutzen von Semaglutid insbesondere bei Menschen, die keine SGLT2-Inhibitoren einnahmen, besonders hoch ist.
Ebenso mehren sich die Hinweise, dass GLP-1-Rezeptor-Agonisten eine entzündungshemmende Wirkung haben, die sich unabhängig vom Ausmaß der Gewichtsabnahme positiv auf die Nieren und das Herz-Kreislauf-System auswirkt (3). „Dies eröffnet neue Möglichkeiten in der Behandlung der CKD“, fasst Kuhlmann zusammen. Was Semaglutid betrifft, habe sich die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) zunächst noch gegen eine Indikationserweiterung ausgesprochen.
Ein deutsches Forschungsnetzwerk soll den Stand des Wissens weiter vorantreiben
Die DGfN setzt sich für weitere intensive grundlagenwissenschaftliche und klinische Forschung ein, insbesondere für die translationale Forschung, also die Überführung von neuen Forschungserkenntnissen aus dem Labor in die Anwendung in der Klinik. „Dafür ist es nötig, ein weites Forschungsnetzwerk im Sinne eines Deutschen Zentrums für Nierengesundheit (DZNG) zu etablieren. Es soll den Stand des Wissens weiter vorantreiben und die Entwicklung und Umsetzung innovativer Behandlungsmethoden unterstützen“, sagt DGfN-Generalsekretärin Dr. med Nicole Helmbold.
Die Möglichkeiten der „Neuen Nephrologie“ und ihre Auswirkungen auf die Nierenheilkunde sind Thema auf der hybrid veranstalteten Pressekonferenz der DGfN am Freitag, 27. September 2024, 11:45 bis 13:00 Uhr, anlässlich der 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie in Berlin (ECC).
Interessenkonflikte:
Professor Marin Kuhlmann gibt an, dass keine Interessenkonflikte vorliegen.
Quellen:
- Bakris, George L. et al. Effect of Finerenone on Chronic Kidney Disease Outcomes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med 2020; 383 NO. 23, 383:2219-2229
- Mann, J.F.E., Rossing, P., Bakris, G. et al. Effects of semaglutide with and without concomitant SGLT2 inhibitor use in participants with type 2 diabetes and chronic kidney disease in the FLOW trial. Nat Med (2024). https://doi.org/10.1038/s41591-024-03133-0
- Sourris, Karly C. et al. Glucagon-like peptide-1 receptor signaling modifies the extent of diabetic kidney disease through dampening the receptor for advanced glycation end products–induced inflammation. Kidney International, Volume 105, Issue 1, 132-149
Für Interessierte
Video zu GLP-1-Rezeptor-Agonisten bei CKD – FLOW-Studie mit Professor Dr. Johannes Mann: https://www.youtube.com/watch?v=_wqIW9NGNL4 (Professor Mann ist Erstautor der FLOW-Studie und hat an der globalen KDGIO-Leitlinien zur arteriellen Hypertonie bei chronisch nierenkranken Menschen mitgearbeitet.)
Foto: Pexels/ Vlada Karpovich