Trainingsprogramm unterstützt Jugendliche im Umgang mit Stress und Druck
Wenn sich ein Kind in der Schule aggressiv verhält, wird oft ein Erziehungsdefizit vermutet. Dabei wird übersehen, dass dahinter auch eine psychische Erkrankung stecken kann. Mit einem neuartigen Trainingsprogramm versuchen Forschende der Universität Basel, betroffenen Jugendlichen mehr Kompetenz im Umgang mit Stress und starken Gefühlen zu vermitteln.
Aggressives Verhalten von Kindern und Jugendlichen kann oft ein Hinweis auf eine psychische Erkrankung sein, der ganz verschiedene Ursachen zugrunde liegen können. Trotz den häufig ungünstigen Entwicklungsverläufen wird dem Thema in der Forschung bisher nur wenig Beachtung geschenkt. Dies, obwohl Aggression in Schulen und sozialpädagogischen Einrichtungen immer häufiger zum Problem wird. Mit dem Trainingsprogramm «Start Now» stellen sich Forschende der Universität Basel und der Universitären Psychiatrischen Kliniken dieser Herausforderung.
«Solche Verhaltensauffälligkeiten können sich auf verschiedene Weise äussern: Sie können sich in extremen Wutausbrüchen mit einer mangelnden Kontrolle von Emotionen manifestieren, verbunden mit starker verbaler und körperlicher Aggression. Andere zeigen eher geplante Aggression oder auch einen Mangel an Empathie. Schwierigkeiten, sich an Regeln- oder auch Gesetzesvorgaben zu halten, können ebenfalls Merkmale sein», erklärt Prof. Dr. Christina Stadler, Professorin für Entwicklungspsychopathologie an der Universität Basel
«Betroffene Kinder und Jugendliche interpretieren ihre Umwelt häufig anders, sie empfinden beispielsweise die Absichten anderer als feindselig – möglicherweise aufgrund negativer Erfahrungen, die sie gemacht haben», so Stadler.
Oft entsteht eine Kaskade ungünstiger Folgeerscheinungen. Bei Jugendlichen sind nicht selten gleichzeitig Depressionen und Suchterkrankungen zu beobachten oder ein nicht behandeltes ADHS. Häufig kommen im Laufe der Zeit Schulabbrüche oder Platzierungen in einer Jugendhilfeeinrichtung hinzu. Das ist nicht nur für die Jugendlichen, sondern auch für ihre Eltern und Betreuungspersonen eine schwierige Situation.
Spezifisches Trainingsprogramm
Um betroffenen Jugendlichen und ihrem Umfeld eine zusätzliche Unterstützung zu bieten, hat Christina Stadler ein spezifisches Trainingsprogramm entwickelt, um Jugendliche zu befähigen, besser mit Stress und starken Gefühlen zurechtzukommen. «Wir möchten sie motivieren, ihre Ziele zu verfolgen, auch wenn sie ihre Umwelt als feindselig wahrnehmen und nicht daran glauben, mit ihrer Anstrengung etwas erreichen zu können.»
«Man muss sich eine typische Situation vorstellen, mit der wir als Therapeutinnen, aber auch im pädagogischen Kontext immer wieder konfrontiert sind: Wir haben vielleicht schon ein notwendiges Ziel vor Augen, aber der Jugendliche selbst zeigt noch gar keine Motivation und hat einfach ‹keinen Bock›, etwas verändern zu wollen. Überreden mit guten Argumenten ist dann meist genauso wirkungslos wie das Aufzeigen negativer Konsequenzen.»
Wirksame Ergänzung zur Standardtherapie
Die Forschungsgruppe hat kürzlich untersucht, ob das Start Now-Training, das in Jugendhilfeeinrichtungen in der Schweiz, Deutschland und in den Niederlanden eingesetzt wird, aggressives und oppositionelles Verhalten bei jugendlichen Mädchen wirksam reduziert. Diese Behandlung dient als Ergänzung zur Standardtherapie, die sich nicht immer als wirksam erwiesen hat.
An der internationalen Studie nahmen 127 Mädchen im Alter von 12 bis 20 Jahren teil, bei denen eine Verhaltensstörung oder eine oppositionelle Verhaltensstörung diagnostiziert worden war und die in vier sozialpädagogischen Einrichtungen platziert waren. Die Einrichtungen wurden nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt, von denen eine das reguläre therapeutische und pädagogische Standardprogramm und die andere zusätzlich Start Now durchführte.
Vor Beginn des 12-wöchigen Programms führten die Forscher ein psychiatrisches Interview durch, um die Diagnosen und die Anzahl der Symptome von Oppositions- und Verhaltensstörungen zu ermitteln, und mehrere Fragebögen wurden von den Mädchen, Eltern und Sozialarbeitern ausgefüllt. Den Effekt der Behandlung erfassten sie auf gleiche Weise direkt nach Abschluss des Trainings sowie drei Monate nach Behandlungsende.
Unmittelbar nach der Behandlung zeigten sich in den Interviews keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Gruppen. Jedoch wurden die jugendlichen Mädchen von den Betreuern als bedeutsam weniger aggressiv beurteilt und von den Eltern als weniger gereizt.
Bei der Nachuntersuchung nach drei Monaten konnte jedoch in der Start Now-Gruppe ein signifikanter Rückgang der Symptome festgestellt werden, was auf einen verzögerten, aber klinisch bedeutsamen Behandlungseffekt hinweist.
«Zwar hatten wir erwartet, dass ein Unterschied zwischen den Gruppen gleich nach der Therapie nachweisbar wäre», so Christina Stadler. «Wir konnten jedoch zeigen, dass sich Mädchen, die im Start Now-Programm Strategien zur Emotionsregulationen gelernt haben, sich weiter verbessern. Bei den Teilnehmerinnen der Standardbehandlung war dies hingegen nicht zu beobachten. Wir gehen davon aus, dass die Mädchen ihre erworbenen Kompetenzen über das Training hinaus weiter vertieft haben und auch von den Pädagoginnen und Pädagogen in der Institution dabei unterstützt wurden, was ja der zentrale Inhalt des Trainings ist.»
Aufgrund der positiven Erfahrungen wird Start Now auch als Präventionsprogramm an Schulen angeboten. Aktuell führt die Arbeitsgruppe eine weitere klinische Studie zur Wirksamkeit eines adaptierten Start Now-Programms für Jugendliche und junge Erwachsene mit Migrationserfahrungen durch.
Skills-Training für Jugendliche
Start Now ist ein Skills-Training für Jugendliche ab 12 Jahren. Es fördert die Resilienz und soll ihnen den Umgang mit Stress und Druck erleichtern. Ziel ist es, wirksame Kompetenzen zu erwerben, um in der Phase des Erwachsenwerdens trotz emotionaler Schwierigkeiten die eigenen Ziele und Werte nicht aus den Augen zu verlieren. Zu den Strategien, die das Programm vermittelt, gehören Selbstwirksamkeit, Handlungsfähigkeit und Problemlösungsorientierung, ein positiver Bewertungsstil und insbesondere eine gute Emotions- und Stressregulation.
Das ursprünglich in den USA entwickelte Programm Start Now wurde von Christina Stadler und ihrem Team speziell auf die Bedürfnisse und Interessen der jungen Menschen zugeschnitten. Es besteht aus Gruppen- und Einzelsitzungen, die jeweils mit einer Problemgeschichte in Form eines Comics beginnen, sodass es Jugendlichen leichter fällt, einzusteigen. In jeder Sitzung werden spezifische Strategien vorgestellt und geübt, um mit starken Emotionen, besser «durch das Leben zu surfen». Zum Programm gehört zudem eine Schulung des Fachpersonals, mit dem Ziel, Ursachen von Problemverhalten besser zu verstehen und angemessen darauf reagieren zu können, aber auch das Gruppentraining selbst durchführen zu können.
Foto: Pexels/ Karolina Grabowska