Forschende des Universitätsklinikums Heidelberg und der Harvard Medical School veröffentlichen in „Science“ grundlegende Erkenntnisse zur angeborenen Stoffwechselerkrankung Cystinose.

Das Problem ist wahrscheinlich nicht der wachsende Müllberg, sondern mangelndes Recycling. Das gilt jedenfalls für Körperzellen bei der angeborenen Stoffwechselerkrankung Cystinose, wie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD) und der Harvard Medical School, Cambridge, USA, aktuell in „Science“ berichten. Sie haben grundlegende Mechanismen dieser seltenen Erkrankung an Fruchtfliegen untersucht. Bei Cystinose sammeln sich Abfallstoffe des Zellstoffwechsels in den Lysosomen, den Mülltonnen der Zellen, und werden nicht entleert. Die Zellfunktion kommt mit der Zeit zum Erliegen. Insbesondere die Nieren verzeihen diese Störung nicht und nehmen sehr früh irreparablen Schaden. Daher ist die Cystinose ist eine wichtige Ursache für Nierenversagen im Kindesalter. Die Forschungsarbeit wurde von der Cystinosis Research Foundation gefördert.

In die Lysosomen, membranumhüllte Bläschen, gelangen nicht mehr benötigte oder defekte Zellbestandteile wie Proteine. Hier werden sie dann in ihre Bestandteile, sogenannten Aminosäuren, zerlegt. Darunter auch in Cystin, das aus zwei Cystein-Aminosäuren besteht und der Erkrankung ihren Namen gab. Wird die „Mülltonne“ nicht entleert, bilden sich hartnäckige Ablagerungen in Form von Cystin-Kristallen, die – so die bisherige Vermutung – die Hülle der Lysosomen und schließlich die Zellen selbst beschädigen. „Allerdings treten die Nierenschäden bei den Betroffenen bereits auf, bevor die Kristalle im Nierengewebe nachweisbar sind. Es muss also noch andere schädliche Mechanismen geben“, erläutert Seniorautor Professor Dr. Matias Simons, Heisenberg-Professor am Institut für Humangenetik des UKHD und Leiter der Sektion Nephrogenetik.

Das internationale Team entdeckte nun an Zellen von Fruchtfliegen, dass der genetische Defekt bei Cystinose neben dem bekannten Müllproblem auch einen Cystein-Mangel in der Zelle hervorrufen kann. Cystein entsteht durch die Spaltung von Cystin, nachdem dieses aus den Lysosomen ausgeschleust wurde. Das dafür zuständige Transportprotein Cystinosin in der Lysosomenhülle funktioniert bei Cystinose aber nicht. „Die Zelle kommt unter bestimmten Bedingungen in eine Mangelsituation, die sie in ihrer Funktion einschränkt. Die Beschädigung durch die Kristalle ist dann wahrscheinlich der Todesstoß“, vermutet Erstautor Dr. Zvonimir Marelja aus dem Team von Prof. Simons. Die Forschenden fanden heraus, dass Cystein unter Fastenbedingungen über bestimmte Stoffwechselvorgänge das Recycling des Lysosomen-Inhalts aktiviert. Ohne Cystein, kein Recycling der Proteinbausteine.

Warum Nieren so früh Schaden nehmen, andere Organe wie Milz, Leber, Knochenmark und Augenhornhaut, in denen sich ebenfalls Kristalle bilden, dagegen erst später, erklären die Ergebnisse nicht. Die Ergebnisse der Forschungsarbeiten mit Fruchtfliegen lassen sich nicht ohne weiteres auf den Menschen übertragen: Die Wissenschaftler untersuchten die Funktionsweise von Cystinosin beispielsweise an fettspeichernden Zellen in Fliegen, die sie zuvor fasten ließen um den Hungerzustand in den Zellen herbeizuführen – das kommt bei Betroffenen so nicht vor. „Unsere Ergebnisse liefern Grundlagenwissen: Um den bisher noch wenig verstandenen Krankheitsmechanismen der Cystinose näher zu kommen, müssen wir unsere Erkenntnisse auf Säugetiere übertragen“, so Prof. Simons. „Die Ergebnisse an den Fruchtfliegen sind die ersten Steine eines sehr komplexen Puzzles.“

Die häufigste Form der Cystinose setzt bereits in den ersten Lebensmonaten ein und tritt bei einem von ca. 200.000 Neugeborenen auf. Die ersten Symptome sind unspezifisch, die Kinder leiden z.B. an Appetitlosigkeit, chronischer Verstopfung, unklarem Fieber und entwickeln sich schlecht. Schon bei Säuglingen und Kleinkindern kommt es zu Nierenschäden. Zur Behandlung steht derzeit ein Medikament zur Verfügung, das den Cystin-Export aus den Lysosomen unterstützt und so den Krankheitsverlauf verlangsamt. Das Nierenversagen wird durch die Therapie jedoch nicht gestoppt, was Nierenersatzverfahren wie Dialyse oder Transplantation früher oder später unvermeidbar macht.

Literatur

Jouandin P, Marelja Z,  Shih Y-H et al. Lysosomal cystine mobilization shapes the response of TORC1 and tissue growth to fasting. Science2022Vol 375: Issue 6582. DOI: 10.1126/science.abc4203

Weitere Informationen im Internet

www.klinikum.uni-heidelberg.de/humangenetik
www.klinikum.uni-heidelberg.de/humangenetik/forschung/nephrogenetik
www.simons-lab.de

Tag der Seltenen Erkrankungen 2022

Rund um dem 15. weltweiten Tag der Seltenen Erkrankungen am 28. Februar 2022 lädt das Zentrum für Seltenen Erkrankungen (ZSE) am UKHD ein sich vom 15. Februar – 7. März 2022 die Kunstaufstellung unter dem Motto „Selten allein“ im Hauptbahnhof Heidelberg anzusehen. Die Ausstellung zeigt neben dem Porträt einer Heidelberger Patientin Kunstwerke von Kindern und Erwachsenen mit Seltenen Erkrankungen. Begleitend bietet das UKHD Informationen zu Versorgung und Forschung Seltener Erkrankungen.

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Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg: Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang

Das Universitätsklinikum Heidelberg (UKHD) ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät Heidelberg der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 14.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit fast 2.000 Betten werden jährlich circa 84.000 Patienten voll- und teilstationär und mehr als 1.000.000 Patienten ambulant behandelt.

Gemeinsam mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebshilfe (DKH) hat das UKHD das erste Nationale Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg etabliert. Ziel ist die Versorgung auf höchstem Niveau als onkologisches Spitzenzentrum und der schnelle Transfer vielversprechender Ansätze aus der Krebsforschung in die Klinik. Zudem betreibt das UKHD gemeinsam mit dem DKFZ und der Universität Heidelberg das Hopp-Kindertumorzentrum Heidelberg (KiTZ), ein deutschlandweit einzigartiges Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.  Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit befinden sich an der Medizinischen Fakultät Heidelberg (MFHD) rund 4.000 angehende Ärztinnen und Ärzte in Studium und Promotion. www.klinikum-heidelberg.de

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