Rat vom Kinderwunsch-Experten

Die Gründung einer Familie wird von vielen Paaren immer weiter aufgeschoben. Aus medizinischer Sicht eine Herausforderung. Dennoch können Paare, die spät dran sind, ihre Chancen für die Verwirklichung ihres Kinderwunsches deutlich verbessern. Über die wichtigsten Punkte haben wir mit einem Kinderwunschexperten gesprochen.

Das Alter, in dem Paare eine Familie gründen, hat sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr nach hinten verlagert (Statistisches Bundesamt 2022). Welche Bedeutung hat das Alter für die Chancen, schwanger zu werden? Was können Sie selbst dazu beitragen, um ihre Chancen zu erhöhen? Darüber haben wir mit einem Kinderwunschexperten gesprochen.

2020 waren Frauen in Deutschland bei der Geburt ihres ersten Kindes durchschnittlich 30,2 Jahre alt; 2010 lag das Alter noch bei 28,9 Jahren (Statistisches Bundesamt 2021). Auch in den Kinderwunschzentren ist diese Entwicklung sichtbar, wie Dr. med. Sascha Tauchert berichtet. Er arbeitet als Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe mit Schwerpunkt Gynäkologische Endokrinologie & Reproduktionsmedizin im Kinderwunschzentrum IVF-Saar. Zu Beginn des Jahrtausends lag das durchschnittliche Alter der Patient*innen, die ein Kinderwunschzentrum aufsuchten, noch bei 32 Jahren, während es jetzt bei über 36 Jahren liegt.

Die Gründe dafür sind vielfältig: Längere Ausbildungszeiten, Verwirklichung beruflicher Ziele, Wunsch nach Selbstverwirklichung, spätes Heiraten, instabilere Partnerschaften, erfolgreichere Kinderwunschbehandlung, aber auch unzureichendes Wissen über die ab Mitte 30 abnehmende Fruchtbarkeit. Letzteres bestätigt eine Untersuchung, bei der jüngere Menschen (15–24 Jahre) die Altersgrenze für Schwangerschaft und Geburt bei 42 Jahren für Frauen und bei 46 Jahren für Männer sahen. (Kim 2021)

Zwar wurden in Diagnostik und Behandlung ungewollter Kinderlosigkeit in den letzten 50 Jahren bemerkenswerte Fortschritte erzielt. Entscheidend ist aber auch hierbei der rechtzeitige Beginn einer gezielten Diagnostik und Therapie (Farquhar 2019). In den Sprechstunden deutscher Kinderwunschzentren stellt die Gruppe der 35–39-Jährigen die größte Gruppe dar. Immer mehr Frauen sind sogar 40 oder älter (DIR 2021).

Bedeutung des Alters für die Chancen, schwanger zu werden

Die Lebenserwartung ist in den letzten 150 Jahren von etwa 45 auf 85 Jahre angestiegen. Das Alter, in dem die Fortpflanzungsfähigkeit mit dem natürlichen Eintritt der Menopause endet, liegt aber nach wie vor bei etwa 50-52 Jahren (Ruth 2021). Was laut Dr. Tauchert die wenigsten wissen: Schon ab 30 – und vor allem ab 37 Jahren – sinken die Chancen beträchtlich, schwanger zu werden und anschließend ein Kind zur Welt zu bringen. Während bei einer Frau unter 30 die Wahrscheinlichkeit pro Zyklus bei etwa 25 % liegt, sinkt sie bei über 35-jährigen Frauen auf ca. 15 % und ab 40 Jahren auf weniger als 10 %.

Auch die Erfolgsaussichten der Kinderwunschbehandlung werden entscheidend vom Alter der Frau beeinflusst: „Mit der gleichen Therapie“, führt der Experte aus, „haben wir bei einer Frau mit 30 Jahren gegenüber einer 40-Jährigen sehr unterschiedliche Erfolgsaussichten. Mit steigendem Alter der Frau kommen die Kinderwunschpaare weniger schnell zum Erfolg und Fehlgeburten treten häufiger auf.“

Ursachen für die Ü35 sinkenden Chancen schwanger zu werden

Verantwortlich dafür sind vor allem die mit dem Alter abnehmende Zahl und Qualität der weiblichen Eizellen. Die Zahl der Eizellen sinkt von 300.000-500.000 in der Pubertät auf 25.000 mit 37 Jahren und 1.000 mit 51 Jahren (ASRM 2014). Auch die Eizellqualität nimmt ab Mitte 30 deutlich ab. Dr. Tauchert erklärt die Auswirkungen: „Das Erbgut der Eizellen wird mit zunehmendem Alter beeinträchtigt. Viele Eizellen sind dann genetisch nicht mehr gesund, wodurch die Befruchtungsrate sinkt – vor allem auf natürlichem Weg. Zudem entwickeln sich weniger befruchtete Eizellen zu Embryonen, die eine Chance haben, sich in die Gebärmutterschleimhaut einzunisten.“

Ein Beispiel: Bei einer Frau mit Anfang 30 wird eine herabgesetzte Zahl an Eizellen (Eizellreserve) festgestellt. Die Zahl an Eizellen entspricht bei dieser Frau etwa der Menge, die man bei einer 10 Jahre älteren Frau erwarten würde. Dennoch besitzt die jüngere im Vergleich zu der älteren Frau nach Einschätzung von Dr. Tauchert bessere Chancen, schwanger zu werden und die Schwangerschaft bis zum Ende auszutragen. Bei der Frau Anfang 30 ist nur jeden 5.-6. Monat damit zu rechnen, dass es zum Eisprung einer nicht mehr gesunden Eizelle kommt, bei einer Frau um die 40 schon jeden zweiten Monat.

Trotz höherer Lebenserwartung hat sich das Zeitfenster der Fruchtbarkeit also nicht deutlich verlängert. „Der Körper einer Frau ist nur bis zu einem gewissen Alter in der Lage, ohne größere gesundheitliche Probleme eine Schwangerschaft auszutragen“, erklärt Dr. Tauchert.

Alter des Mannes

Im Vergleich zur deutlichen Abnahme der weiblichen Fruchtbarkeit sinkt die Fruchtbarkeit von Männern mit zunehmendem Alter weniger stark ab. Tauchert berichtet, dass auch 60-jährige Männer normale Spermiogramme aufweisen können. Damit stehen Männer zu Beginn einer Kinderwunschbehandlung aber keineswegs außen vor: Unabhängig vom Alter gehört ein Basis-Spermiogramm dazu. In der Kinderwunschbehandlung sollten nach Auffassung des Experten auch soziale Aspekt berücksichtigt werden: Kann ein Mann in diesem Alter ein Kind noch adäquat begleiten? Wie geht das Paar mit einer geringeren Lebenserwartung des Mannes um?

Wie lange Paare selbst versuchen sollten schwanger zu werden

Auch hier ist das Alter – besonders das der Frau –entscheidend. Für Frauen unter 35 Jahren empfehlen Experten, ein Jahr lang zu versuchen, mit ungeschütztem Sex schwanger zu werden. Frauen ab 35 Jahren rät Dr. Tauchert – wie viele seiner Kolleg*innen –, bereits nach sechs Monaten erfolgloser Versuche ärztlichen Rat einzuholen, damit die Zeit für eine eventuelle Kinderwunschbehandlung nicht zu knapp wird.

Frauen ab 40 haben pro Zyklus eine Chance von 5-7 %, auf natürlichem Weg schwanger zu werden. Über ein Jahr betrachtet liegen die Chancen bei 25-30 %. Panik ist aber aus Sicht von Tauchert kein guter Ratgeber. Frauen ab 40 können seiner Ansicht nach zunächst 6 Monate probieren, ohne medizinische Unterstützung schwanger zu werden – sofern keine Befunde wie Abweichungen der Hormonwerte oder beim Mann ein eingeschränktes Spermiogramm vorliegen. Einen Tipp gibt Dr. Tauchert noch: Viele Kinderwunschzentren haben längere Wartezeiten. Vorher nachzufragen und Wartezeiten einzuplanen, lohnt sich.

Chancen einer Kinderwunschbehandlung

Kinderwunschzentren unterstützen Paare, bei denen sich spontan keine Schwangerschaft einstellt. Bei Frauen im Alter von 35 Jahren liegt die Schwangerschaftsrate mit einer Kinderwunschbehandlung bei 39 % und die Geburtenrate bei 30 %. Besonders mutmachend sind die Zahlen, die den Erfolg mehrerer Behandlungszyklen widerspiegeln: Patientinnen unter 35 sind nach mehr als vier Transfers zu über 80 % schwanger. Dies sind Zahlen aus dem deutschen IVF-Register, das die Ergebnisse der Kinderwunschbehandlungen (künstlicher Befruchtung: In-vitro-Fertilisation, IVF oder Intracytoplasmatische Spermieninjektion, ICSI) von 134 Zentren für 2019 und 2020 ausgewertet hat (DIR 2021).

Allerdings sinken mit zunehmendem Alter auch die Chancen, mit Hilfe der Verfahren der modernen Kinderwunschmedizin schwanger zu werden. Ab 40 Jahren sinkt die Schwangerschaftsrate pro Behandlungszyklus auf 19 % und die Geburtenrate auf 10 %. Nach vier oder mehr Zyklen einer Kinderwunschbehandlung entsteht in der Altersgruppe ab 40 bei 35 % der Frauen eine Schwangerschaft. Bei Patientinnen mit und über 45 Jahren kam es 2019 zu fünf Geburten in ganz Deutschland (DIR 2021). Spätes Elternglück bedeutet häufig aber ganz besonderes Glück. Gerade aufgrund des oft langen Wegs bis zum Wunschkind wissen Eltern dieses Glück besonders zu schätzen (Myrskylä 2017, George-Carey 2021).

Social Freezing

Eizellen einfrieren zu lassen (Social Freezing oder auch Elective Egg Freezing), stellt eine Möglichkeit dar, Eizellen in jüngeren Jahren – möglichst vor dem 35. Lebensjahr – zu konservieren. Eine Kinderwunschbehandlung mit ‚jüngeren‘ Eizellen kann die Erfolgschancen der Behandlung bei Frauen ab Ende 30 steigern (Moffat 2018).

Lifestyle – Was Paare mit Kinderwunsch selbst tun können

Im Praxisalltag von Dr. Tauchert spielt die Beratung zu Lifestyle-Faktoren eine große Rolle. Besonders wichtig ist, dass beide Partner nicht rauchen. Darüber hinaus rät er zu ausreichend Bewegung (2-3-mal pro Woche) und gesunder Ernährung. Folsäure (täglich 800 µg Folsäure bereits bei Schwangerschaftswunsch) sowie eine bedarfsdeckende Zufuhr an Vitamin D in der dunklen Jahreszeit gehören zu den sinnvollen Nahrungsergänzungen. Umstritten ist hingegen, ob weitere Nahrungsergänzungsmittel Vorteile bringen.

Sowohl krankhaftes Übergewicht (Body Mass Index, BMI > 30) als auch Untergewicht (BMI < 20) senken die Chancen, schwanger zu werden (Panth 2018, Montagnoli 2021). Auch bei Männern begünstigt Übergewicht hormonelle Störungen, die die Fruchtbarkeit beeinträchtigen können (Ilacqua 2018). Eine Gewichtsabnahme erhöht somit die Wahrscheinlichkeit, ein Kind zu bekommen (Hunter 2021).

Gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und Nikotinverzicht gehören zu den Lebensstilfaktoren, die auch jenseits der 35 die Wahrscheinlichkeit erhöhen, schwanger zu werden (BVF 2018).

Die fünf wichtigsten Fakten und Tipps zur Familienplanung (Harper 2019, DIR 2021)

  • Frauen werden mit der vollständigen Zahl an Eizellen geboren. Ihre Fruchtbarkeit sinkt ab 35 merklich. Mit 37 stehen nur noch etwa 10 % der ursprünglich vorhandenen Eizellen zur Verfügung.
  • Ein gesunder Lebensstil erhöht die Chancen, schwanger zu werden: Körpergewicht im Normbereich, Verzicht auf Rauchen, regelmäßig Sport treiben.
  • Es lohnt sich, früh mit der Familienplanung und -gründung zu beginnen: Frauen unter 30 haben pro Monat eine Chance von 20-25 % schwanger zu werden, mit 40 stehen die Chancen mit 5-7 % deutlich schlechter.
  • Erfüllt sich der Wunsch, schwanger zu werden, nach einem Jahr nicht (bei Frauen ab 35 Jahren nach sechs Monaten), ist ein Gang zum Arzt oder ins Kinderwunschzentrum empfehlenswert.
  • Auch der Erfolg von Kinderwunschbehandlungen ist altersabhängig: Die Wahrscheinlichkeit, nach einem IVF-Zyklus ein Baby zu bekommen, beträgt 30 % für Frauen mit 35, ca. 10 % für Frauen ab 40 und für Frauen ab 45 nahe 0 %.

Experten-Tipps bei spätem Kinderwunsch

Für alle Paare, die erst Ende 30 / Anfang 40 mit dem Versuch starten, eine Familie zu gründen, rät der Kinderwunschexperte zu einer optimistischen Haltung – sofern im Vorfeld keine Befunde vorliegen, die auf Probleme beim Schwangerwerden hinweisen. Er empfiehlt, die Verhütung zu beenden, darauf achten, ob der Zyklus regelmäßig ist, und das Sexualleben so weiterzuführen wie bisher. Ratsam ist ein Austausch darüber, ob eine medizinische Unterstützung infrage käme. Die Statistik zu den Erfolgschancen erscheint auf den ersten Blick nicht so positiv, aber 25 % der Frauen in diesem Alter werden einfach durch Sex schwanger.

Quellen

Statistisches Bundesamt. Europa: Das erste Kind kommt immer später. 2022. https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Bevoelkerung/Alter-bei-Geburt.html, abgerufen am 19.01.2022.

Statistisches Bundesamt. Geburten: Daten zum durchschnittlichen Alter der Mutter bei Geburt insgesamt und 1. Kind nach Bundesländern. 2021. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Geburten/Tabellen/geburten-mutter-alter-bundeslaender.html, abgerufen am 19.01.2021.

Kim EJ, Cho MJ. The Association between Assisted Reproduction Technology (ART) and Social Perception of Childbearing Deadline Ages: A Cross-Country Examination of Selected EU Countries. Int J Environ Res Public Health. 2021; 18 (4): 2111.

Farquhar CM, Bhattacharya S, Repping S et al. Female subfertility. Nat Rev Dis Primers. 2019; 5 (1): 7. doi: 10.1038/s41572-018-0058-8.

Deutsches IVF-Register (D I R). Jahrbuch 2020. Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, Sonderheft 3 / 2021. https://www.deutsches-ivf-register.de/perch/resources/dirjb2020-2de.pdf, abgerufen am 17.01.2022.

Ruth KS, Day FR, Hussain J et al. Genetic insights into biological mechanisms governing human ovarian ageing. Nature. 2021 596 (7872): 393–397.

ASRM. Female age-related fertility decline. Fertil Steril 2014; 101: 633–634.

Myrskylä M, Barclay K, Goisis A. Advantages of later motherhood. Gynäkologe. 2017; 50 (10): 767–772.

George-Carey R, Woolley M, Fortune L et al. The Joys of Older Motherhood: A questionnaire-based survey of mothers who delivered over the age of 50 years. Eur J Obstet Gynecol Reprod Biol. 2021; 265: 169–174.

Moffat R, Raggi A, Sartorius G et al. Späte Mutterschaft und Aufschub der Familiengründung. Swiss Med Forum 2018; 18 (43): 875–880.

Panth N, Gavarkovs A, Tamez M et al. The Influence of diet on fertility and the implications for public health nutrition in the United States. Front Public Health. 2018; 6: 211. doi: 10.3389/fpubh.2018.00211.

Montagnoli C, Santoro CB, Buzzi T et al. Maternal periconceptional nutrition matters. A scoping review of the current literature. J Matern Fetal Neonatal Med. 2021, vorab elektronisch publiziert. doi: 10.1080/14767058.2021.1962843.

Ilacqua A, Izzo G, Emerenziani GP et al. Lifestyle and fertility: the influence of stress and quality of life on male fertility. Reprod Biol Endocrinol. 2018; 16 (1): 115.

Hunter E, Avenell A, Maheshwari A et al. The effectiveness of weight-loss lifestyle interventions for improving fertility in women and men with overweight or obesity and infertility: A systematic review update of evidence from randomized controlled trials. Obes Rev. 2021; 22 (12): e13325.

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