Krebs-Kachexie: Was muss getan werden?
Eine Diskussionsrunde aus Kachexie-Experten und Patienten bot einen Überblick zu Früherkennung und Diagnose sowie möglichen Interventionen bei Krebs-Kachexie.
Kachexie bei Krebs – damit ist ein ungeplanter Gewichtsverlust von über 5 % des Körpergewichts über ein halbes Jahr gemeint, bei dem auch Muskelmasse verloren wird, manchmal auch Fettgewebe. Die Kachexie, die häufig bereits vor der Krebsdiagnose einsetzt, führt zu einer zunehmenden funktionellen Beeinträchtigung und stellt eine signifikante Herausforderung sowohl für Krebspatienten als auch für ihre Angehörigen dar, schränkt die Selbständigkeit und Alltagsfunktionalität der Patienten ein, senkt ihre Lebensqualität und Lebenserwartung.
Eine Diskussionsrunde aus Kachexie-Experten und Patienten stellte nun ihre Ergebnisse in einer Veröffentlichung vor und bot einen Überblick zu Früherkennung und Diagnose sowie möglichen Interventionen bei Krebs-Kachexie.
Diskussionsrunde aus Kachexie-Experten und Patienten
Die Pathophysiologie der Krebs-Kachexie ist bislang noch nicht vollständig verstanden, umfasst jedoch eine Kombination aus reduzierter Nahrungsaufnahme und verändertem Metabolismus. Dies schließt Inflammation, abnehmenden Anabolismus (Aufbau komplexer Moleküle aus Nährstoffen) und zunehmenden Katabolismus (Abbau von Stoffen) ein. Kachexie wird typischerweise in drei Stufen klassifiziert:
- Prä‐Kachexie: Gewichtsverlust unter 5 %, Anorexie und Stoffwechselveränderungen
- Kachexie: Gewichtsverlust über 5 % oder BMI (body mass index) < 20 kg/m² mit 2 % Gewichtsverlust, oder Sarkopenie mit über 2 % Gewichtsverlust, schlechte Nahrungsaufnahme; meist begleitende systemische Entzündungsprozesse
- Refraktäre Kachexie: Stark reduzierte Leistungskraft und Gesundheit, Lebenserwartung unter 3 Monaten
Die Kachexie entwickelt sich in einer komplexen Interaktion zwischen Tumor, dem neuroendokrinen und dem Immunsystem des Patienten und der Krebstherapie und ist so ein multifaktorielles Syndrom, für das auch eine multimodale Behandlung notwendig ist.
Obwohl klar ist, dass Kachexie wesentlich zu einer höheren Sterblichkeit bei Krebserkrankungen beiträgt, sind sich viele Patienten, Angehörige, Pflegepersonal und Ärzte nicht ausreichend dieses Syndroms bewusst.
Symptome kommunizieren, Früherkennung ermöglichen
Die Patienten der Diskussionsrunde berichteten, dass bereits früh Einbußen im Geruchs- und Geschmackssinn, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Aversionen gegen Nahrungsmittel auftreten können. In der Folge entwickeln sich Gewichtsverlust und Schwächesymptome. Schlüsselanzeichen für eine Krebs-Kachexie sind insbesondere ungeplanter Gewichtsverlust und Veränderungen in der Nahrungsaufnahme.
Manche Patienten können jedoch anfangs den Gewichtsverlust als vorteilhaft wahrnehmen und verstehen dadurch nicht die Dringlichkeit früher Interventionen. Umso wichtiger ist es, dass Ärzte die frühen Anzeichen der Kachexie erkennen und mit Interventionen, aber auch Aufklärung der Betroffenen, eingreifen, um ihr Fortschreiten zu verlangsamen. Daher empfehlen die Experten, dass Ärzte regelmäßig, beginnend mit der Krebsdiagnose, folgende Aspekte evaluieren sollten:
- Nährstoffaufnahme
- Gewichtsveränderungen
- BMI
Dies soll abhängig von der Stabilität der klinischen Situation wiederholt geprüft werden.
Nahrungsinterventionen, Bewegung, Beratung
Derzeit gibt es keine nachgewiesen wirksame medikamentöse Therapie für die Kachexie. Auch zu klinischen Vorteilen von Ernährungsinterventionen liegt bislang keine qualitativ hochwertige Evidenz vor. Dennoch sehen die Experten Ernährungs-Interventionen sowie behaviorale Interventionen (darunter Sport und individualisierte Ernährungsberatung) als essentiell bei der Kachexie an.
Dahinter steht jedoch nicht, so die Autoren, der Gedanke der Heilung: Kachexie ist allein durch eine Verbesserung des Ernährungszustands nicht reversibel. Aber frühe Ernährungsinterventionen, die einer Anorexie entgegenwirken, können die Krebs-Kachexie verlangsamen. Wesentlich ist auch, dass Patienten und Angehörige über die Komplexität der Diagnose informiert sind. Dies kann entlastend wirken, gerade mit Blick auf gemeinsame Mahlzeiten, die sonst zunehmend als schwierig und stressig empfunden werden können.
Alle Patienten mit einer Krebsdiagnose sollten mit Hilfe eines validierten Ernährungs-Risiko-Screening-Tools untersucht und, wenn nötig, an einen Ernährungsberater überwiesen werden. Patienten können auch eine Physiotherapie benötigen, um auf sie speziell zugeschnittene Strategien zu entwickeln, die der Krebs-bedingten Fatigue entgegenwirken und Bewegung fördern können. Zusätzlich können für Patienten und pflegende Angehörige Verhaltenstherapien zur Einschätzung sinnvoll sein und Behandlungsempfehlungen bei Ängsten und depressiven Symptomen sowie zur Förderung des Wohlbefindens.
Aufgabe für die Zukunft: Kachexie gezielt therapieren
Die Expertenrunde sieht großen Bedarf für die Optimierung der Standardversorgung und erhofft auch die routinemäßige Einbindung von Ernährungsunterstützung und Bewegungsinterventionen in pharmakologische Studien. Darüber hinaus müssen, so das Fazit, die pathophysiologische Entwicklung der Kachexie und sich daraus ergebende mögliche Behandlungsansätze weiterhin intensiv erforscht werden.
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Quelle: Garcia JM, Dunne RF, Santiago K, Martin L, Birnbaum MJ, Crawford J, Hendifar AE, Kochanczyk M, Moravek C, Piccinin D, Picozzi V, Roeland EJ, Selig WKD, Zimmers TA. Addressing unmet needs for people with cancer cachexia: recommendations from a multistakeholder workshop. J Cachexia Sarcopenia Muscle. 2022 Apr;13(2):1418-1425. doi: 10.1002/jcsm.12910. Epub 2022 Feb 26. PMID: 35218313; PMCID: PMC8978010.
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