Frauen ernähren sich gesünder, gehen öfter zu Ärztin oder Arzt und nehmen häufiger Vorsor-geangebote in Anspruch als Männer. Dennoch erhalten Sie die Diagnose über eine rheumatische Erkrankung deutlich später. Und dies, obwohl sie häufiger an Rheuma leiden und gegenüber männlichen Patienten eine erhöhte Krankheitslast angeben. Das sind Ergebnisse einer aktuellen Überblicksstudie zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei der Diagnostik und Therapie von Rheumaerkrankungen. Welche Ursachen dahinterstecken und wie die Erkenntnisse in die Versorgung einfließen können, diskutieren Expert:innen auf der digitalen Vorabpressekonferenz anlässlich des DGRh am Mittwoch, den 23. August 2023.

Bei der Mehrzahl der rheumatischen Erkrankungen ist der Anteil an betroffenen Frauen größer als der der Männer. Dies betrifft vor allem Kollagenosen und die rheumatoide Arthritis. Bei den Spondyloarthritiden ist die Geschlechterverteilung ausgewogen. Nur wenige entzündlich-rheumatische Erkrankungen, wie beispielsweise Morbus Behcet betreffen häufiger Männer. „Umso verwunderlicher erscheint es, dass Frauen im Durchschnitt deutlich später eine Diagnose erhalten“, sagt Privatdozentin Dr. med. Uta Kiltz, Oberärztin am Rheumazentrum Ruhrgebiet. Mögliche Ursache dafür könnte sein, dass der Krankheitsverlauf bei Männern in der Regel schwerer ist. Deshalb zeigen sich Schäden an Organen früher und geben eher Hinweise auf eine rheumatische Erkrankung. Auch bilden sich – so beim Beispiel der systemischen Sklerose – bei Männern bestimmte Marker und Antikörper im Blut früher. „Hinzu kommt, dass Frauen ein vielfältigeres Bild an Symptomen zeigen, was eine eindeutige Diagnose zusätzlich erschweren kann“, erläutert Kiltz. Diese Unterschiede lassen sich unter anderem auf hormonelle, immunologische und (epi)genetische Unterschiede zurückführen. Eine kanadische Analyse offenbarte zudem, dass männliche Hausärzte unabhängig vom Geschlecht der Patient:innen später eine rheumatologische Überweisung veranlassten als ihre Kolleginnen. Folglich kann auch das Geschlecht der behandelnden Ärzt:innen zu Unterschieden in der Versorgung beitragen.

Ob sich die Wirksamkeit von Medikamenten zwischen den Geschlechtern unterscheidet, ist umstritten. Erwiesen ist, dass immunsuppressive Therapien bei Frauen weniger dauerhafte wirken und sie im Vergleich zu Männern deutlich seltener das Therapieziel einer niedrigen Krankheitsaktivität erreichen. Eine Ursache dafür könnte sein, dass Frauen in der Selbstauskunft die Krankheitsaktivität höher als Männer einschätzen. Zudem können rheumatische Erkrankungen soziale und psychologische Folgen haben, die sich bei Männern und Frauen unterschiedlich auswirken. Dies hängt auch mit Unterschieden in den gesellschaftlichen Erwartungen und Rollenbildern zusammen. „Hier stehen wir ganz am Anfang: Es besteht noch ein erheblicher Forschungsbedarf, um die Kontextfaktoren so weit zu verstehen, dass eine personalisierte Medizin möglich ist“, erklärt Kiltz.

„Die Ergebnisse zeigen, dass die Rheumatologie hier Nachholbedarf hat. Wir müssen die geschlechtsspezifischen Krankheitsausprägungen besser verstehen und diese Erkenntnisse in die Diagnostik und Therapie einfließen lassen“, betont auch Professor Dr. med. Christoph Baerwald, Kongresspräsident der DGRh und emeritierter Leiter der Abteilung Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig. Bei der Vorabpressekonferenz anlässlich des Deutschen Rheumatologiekongresses beleuchten die Expert:innen die vorhandenen Geschlechterunterschiede und diskutieren Ansatzpunkte für die weitere Forschung.

Originalpublikation:

Katinka Albrecht & Anja Strangfeld: Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen
Die Innere Medizin volume 64, pages 744–751 (2023); Geschlechtsspezifische Unterschiede in Diagnostik und Therapie entzündlich-rheumatischer Erkrankungen | SpringerLink

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