Neue Hoffnung für therapieresistente Depressionen
Universitätsklinikum Jena koordiniert multizentrische Studie zur Kombinationstherapie mit Ketamin und Psychotherapie
Jena (UKJ/vdG). Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation sind Depressionen die Erkrankung, die weltweit die größte Krankheitslast darstellt; in Deutschland war 2023 etwa ein Zehntel der Erwachsenen davon betroffen. Damit sind Deutsche weitaus häufiger depressiv als im europäischen Vergleich, junge Erwachsene sogar doppelt so häufig. Darüber hinaus zeigen aktuelle Krankenkassendaten einen deutlichen Anstieg der ärztlichen Diagnosen, das Robert-Koch-Institut sieht in seiner letzten Erhebung sogar eine Verdopplung der depressiven Symptomatik auf 20% der Befragten in den letzten vier Jahren.
Für die Behandlung einer Depression stehen Medikamente, Antidepressiva, und Psychotherapien zur Verfügung. „Eine besondere Herausforderung stellen dabei die Patientinnen und Patienten dar, die nach einem ersten medikamentösen Behandlungsversuch und auch durch ein zweites alternatives Antidepressivum keine Besserung erfahren“, so Prof. Dr. Martin Walter, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Jena. „Das ist leider bei über der Hälfte der Fall.“
Neue Behandlungsansätze für diese als therapieresistent bezeichneten Depressionen bieten jetzt Hoffnung für Betroffene: Eine Kombinationstherapie aus einem neuen Antidepressivum und Psychotherapie gibt Aussicht auf eine schnelle und anhaltende Besserung. Ursprünglich als Schmerz- und Narkosemittel im Einsatz, ist Ketamin seit Ende 2023 in Deutschland auch zur ambulanten Behandlung von Depressionen zugelassen. Im Gegensatz zu herkömmlichen Antidepressiva, deren Wirkung erst nach Wochen eintritt, wirkt Ketamin bereits nach einigen Stunden. Um die Wirkung aufrechtzuerhalten, muss es derzeit allerdings noch dauerhaft in einem Abstand von einigen Tagen verabreicht werden.
„Augmentierte“ Psychotherapie: Weltweit erste klinische Studie
Martin Walter: „Wir wollen daher untersuchen, wie die Ketaminbehandlung zusammen mit einer begleitenden Psychotherapie wirkt. Dabei setzen wir eine Form der Psychotherapie ein, die speziell zur Behandlung chronischer Depressionen entwickelt wurde.“ Am Universitätsklinikum Jena startet er jetzt im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit die weltweit erste klinische Studie zu diesem Thema. Insgesamt 60 Patienten sollen in den nächsten zwei Jahren an mehreren Standorten des Zentrums daran teilnehmen.
In der Studie verfolgt die medikamentös unterstützte Psychotherapie, auch „augmentierte“ Psychotherapie, dabei zwei Ziele: Zum einen sollen die Medikamente den oft schwer beeinträchtigten Patienten den schnelleren Einstieg in die Psychotherapie ermöglichen. Zum anderen wird durch eine erfolgreiche Psychotherapie die langfristige Genesung auch ohne zusätzliche Medikamente angestrebt, da der antidepressive Effekt sonst nach dauerhaftem Absetzen des Ketamins häufig wieder verschwindet. „Mit unserer Studie wollen wir herausfinden, ob Patientinnen und Patienten mit schweren Depressionen wirklich am besten von der Kombinationstherapie mit Ketamin profitieren können und wie die Kombination noch verbessert werden kann“, so Martin Walter.
Weitere Informationen:
- Klinische Studien zu Therapieresistenen Depressionen am UKJ
- CBASP+Ketamin Studie
- Studienregister EudraCT 2019-001692-37
Hintergrund therapieresistente Depressionen:
Bei dieser Form der Depression zeigt die Behandlung nicht die erzielte Wirkung. Trotz Therapien und Medikamenten bestehen die Symptome der Depression weiterhin oder können sich sogar verschlimmern. In Zahlen:
- Bis zu 50% der Menschen mit Depressionen reagieren nicht angemessen auf herkömmliche Antidepressiva und sind somit von therapieresistenten Depressionen betroffen.
- Etwa 50% der Personen mit therapieresistenten Depressionen haben Selbstmordgedanken und etwa 20% haben in der Vergangenheit Selbstmordversuche unternommen.
- Etwa 60% der Betroffenen berichten von Arbeitsplatzverlust aufgrund ihrer Erkrankung.
- Psychische Erkrankungen, vor allem Depressionen, gehören zu den häufigsten Ursachen für Frühberentungen
Aktuelle Behandlungsoptionen bei Depressionen:
- Antidepressive Medikamente werden häufig als erste Behandlungsoption eingesetzt, zeigen jedoch nur in etwa 20-30% der Patienten eine therapeutische Wirkung.
- Bei 50-60% der Patienten mit therapieresistenten Depressionen zeigen Studien mit Ketamin eine spürbare Verbesserung der Symptome innerhalb von Stunden bis Tagen nach der Verabreichung.
- Psychotherapie kann helfen, negative Denkmuster und Verhaltensweisen dauerhaft zu ändern. Eingesetzt werden verschiedene Formen der Psychotherapie wie kognitive Verhaltenstherapie, interpersonelle Psychotherapie und Kognitive Verhaltenstherapie nach dem Interpersonalen Analysemodell, die speziell zur Behandlung chronischer Depressionen entwickelt wurde.
- Bei besonders schweren Fällen wurde bisher Elektrokonvulsionstherapie in Betracht gezogen, die elektrische Stimulation der Nervenzellen im Gehirn unter kurzer Narkose.
Hintergrund Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit (DZPG):
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte DZPG forscht an neuen Methoden zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung psychischer Erkrankungen. Das Ziel ist es, diese schnellstmöglich den Menschen zugutekommen zu lassen.
27 Forschungseinrichtungen an sechs Standorten in Deutschland bündeln hierzu ihre Expertise. Das Forschungsprogramm wurde gemeinsam mit Experten und Expertinnen aus Erfahrung, also mit Patienten und Angehörigen, entwickelt und bezieht sie in allen Phasen der Forschung mit ein. In der Aufbauphase des DZPG bis 2025 liegt der Fokus auf der Früherkennung und Prävention psychischer Erkrankungen, dem Aufbau gemeinsamer Organisations- und Forschungsinfrastrukturen sowie der Vernetzung der Standorte. www.dzpg.org
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